■ Querspalte: Wir alle sind doch Models
Auf den ersten Blick hat es was mit Erotik zu tun. Auf den zweiten mit Wirtschaft. Denn Leute wie Philipp leisten Wichtiges für die Firma und den Standort. Seitdem der Mann da ist, steigt die Stimmung im Betrieb. Philipp beweist olfaktorische Sorgfalt in der Auswahl des Duftwassers, demonstriert visuellen Feinsinn in der Auswahl der schlammgrünen Hose zum graugestreiften Hemd und weckt haptische Sehnsüchte mit den weich fallenden Viskose- Beinkleidern, die mehr verhüllen als sie preisgeben, wie es so schön heißt. Unser Praktikant ist ein erotischer Schlager – aber unterprivilegiert.
Genauso wie jene Tausende klasse angezogener Sekretärinnen, auf die hier nur aus Gründen der Quotierung nicht näher eingegangen wird. Und wie jener Koch, der jetzt seine Klage vor dem Bundesarbeitsgericht verlor. Sie alle verbindet eins: Ohne Umziehen geht nix. Erst in die Kleidung, dann in den Job. Der Koch in einem Kaufhausrestaurant forderte, daß ihm das Umkleiden als vergütungspflichtige Arbeitszeit gewertet werde.
Er scheiterte am höchsten Arbeitsgericht, so der Wirtschaftsinfodienst „Praxishandbuch Personal“. Kein Geld gebe es, wenn das Umziehen lediglich „der persönlichen Vorbereitung“ diene. Nur wenn der Striptease „ausdrücklich Inhalt der Arbeitsleistung ist – wie etwa bei einem Model –, handelt es sich um Arbeitszeit, die vergütet werden muß“, erläutert der Infodienst.
Model! Inhalt der Arbeitsleistung! Das ist eine Schweinerei und ungerecht. Gegenüber den Krankenpflegern, Sekretärinnen und Praktikanten (o Philipp!), die aufgrund eines ungeschriebenen Gesetzes Geld und Zeit investieren müssen, um eine Klasse besser auszusehen als ihre drögen Zwischenchefs. Das sind die wahren, die heimlichen Bündnisse für den Aufschwung – und völlig unbezahlt. Sollen die jetzt umschulen auf Operndiva oder Nackttänzer? Wir alle sind doch Models. Wenigstens am Werktag. Barbara Dribbusch
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