■ Querspalte: Spießer vor dem Herrn
Aufs Kabarett muß man heute nicht mehr schimpfen, denn die notwendige polemische Arbeit ist ja spätestens vor drei, vier Jahren erledigt worden. Allerdings hat man bisher unterschätzt, daß sich im Humor-Genre einige Gesellen tummeln, die noch stumpfsinniger sind als Kabarettisten: die Protagonisten von Parteien mit sogenannten satirischen Programmen.
In Hamburg, wo in zweieinhalb Wochen gewählt wird, hinterläßt derzeit eine „Anarchistische Pogo-Partei Deutschlands“ (APPD) ihre Duftmarken. Hinter dem Namen verbergen sich ein paar präsenile Gestalten, wie der Volksmund Punker nennt, und die zum Beispiel die Parole „Asoziale an die Macht!“ auf ihren T-Shirts spazieren tragen – eine leider weder lustige noch sonstwie originelle Forderung, da ja Asoziale längst an der Macht sind. „Saufen! Saufen! Jeden Tag nur Saufen!“ und „Arbeit ist Scheiße“ propagieren die Hobby-Politiker des weiteren, und letztere These, könnte man, wenn man ihnen wohlgesonnen wäre, ja immerhin vulgärsituationistisch nennen.
Der Spiegel findet die Alkoholiker- Sekte jedenfalls echt witzig. In der aktuellen Ausgabe amüsiert sich das Magazin darüber, daß die Jungs nach dem Wahlsieg Deutschland unter anderem in eine Zone für Anarchisten und eine für „spießige Bürger“ (SBZ – höhö!) aufteilen wollen. Dabei arbeitet Peter Altenburg, der Vorsitzende der Witzfiguren, „in der Computerbranche“ (Spiegel), trinkt Dosenbier und hält die Forderung nach „Errichtung von Mitfickzentralen“ für einen 1a Schenkelklopfer. Er ist also, wie man in Hamburg sagt, ein Spießer vor dem Herren. Naja, wenn Altenburg, Nom de guerre: Karl Nagel, Glück hat, engagiert ihn RTL als Witzonkel.
Für die direkte Konkurrenz, eine Gruppe fleischgewordener Gartenzwerge namens „Statt Partei“, tritt übrigens ein Versicherungsfuzzy an, der auf frischer Tat ertappten Graffiti-Sprayern den Führerschein entziehen will. Wer braucht angesichts solchen mit vollem Ernst vorgetragenen Ansinnens eigentlich noch puppenlustige Programme? René Martens
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