■ Querspalte: Vom Segen des Mauerbaus
„Jetzt können wir die Mauer so schnell wie möglich hochziehen und unser Leben weiterleben.“ Auszug aus einem Geheimprotokoll der Moskauer Verhandlungen um den Bau eines neuen antiimperialistischen Schutzwalls? Könnte sein. Stimmt aber nicht.
Die mit so großer Erleichterung begrüßte Mauer wird demnächst das Haus der Familie Brooke teilen. Die Brookes wohnen in Elstronwick im Nordosten Englands. Das Ehepaar hat sich scheiden lassen, will fortan getrennte Wege gehen, das aber unter demselben Dach. Blieb als Lösung nur die friedenschaffende Mauer. Was tut man nicht alles der gemeinsamen Kinder wegen.
Allerdings fehlen uns zur genaueren Bewertung noch einige Details. Weder ist ein Grundriß des Hauses belegt, noch erfahren wir, ob die Mauer aus Klinker, Ytong oder schlicht Rigips besteht, ob es für die Kinder eine Durchreiche geben wird oder ob sie außen rumgehen müssen. Das läßt Spielraum für weitere Assoziationen, den wir aber hier nicht nutzen wollen, weil dabei bloß billige Scherze herauskämen: Was in einem Einfamilienhaus im Nordosten Englands möglich ist, müßte auch wieder zwischen Deutschland-West und Deutschland-Ost möglich sein, usw. usf.
Viel aufschlußreicher ist der Blick auf die von den Brookes demonstrierte Umsicht. Ihre praktische Vernunft und erfolgsorientierte Denkweise ist so wohl nur im Mutterland des Fairplay vorstellbar. Wie anders sieht es doch bei uns aus. Im niedersächsischen Langenhagen flüchtete am Wochenende ein dreißigjähriger Mann in ein Polizeikommissariat, weil seine Frau ihn mit einer Cremedose und der TV-Fernbedienung geschlagen habe. „Der Mann fühlte sich von den Attacken seiner Frau so sehr verletzt, daß er Strafanzeige erstattete.“ Wenn es uns mit der zivilen Bürgergesellschaft, in der der einzelne mehr Selbstverantwortung übernimmt, wirklich ernst ist, dann wäre statt der Strafanzeige ein Bauantrag die angemessene Reaktion gewesen. Dietrich zur Nedden
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