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■ QuerspalteAmerican Millenium

Geneigte Leser, get tired. Nehmt eine Auszeit. Bereitet euch auf das ultimative Jahrhundert-Resümee vor. Legt die Beine hoch, 'ne Platte auf und bettet den Kopf weich. Taucht eure entzündeten Nervenstränge in eine Heiltinktur aus flummigen Marshmallows. Gießt ein bißchen Ahornsirup drüber, rückt näher an den Kamin und laßt die Glasur kandieren. Bis alles von einer goldbraunen Knusperhülle umschlossen ist.

You are relaxed. Ihr zerfließt auf eurem Ohrensessel wie es Eure Sinne gerade tun. Dann fangt an zu denken. Laßt die Assoziationen langsam gerinnen. Gemach, nicht zu hart werden lassen. Cremig sollen sie werden, soft, die Gedanken. Wie Kleehonig vielleicht. Denn ihr arbeitet am großen Entwurf. Es muß sein, viel Zeit bleibt nicht. Nur noch zweihundertundirgendwas Tage. Keep cool.

Ihr habt Vorsorge getroffen. Holzhütte in der Einöde gebucht; Unmengen Böller gehortet; die Theorien von Esoterikern diskutiert und für schwachsinnig befunden. Ihr seid gerüstet, euer Computer wird die Jahrtausendwende nicht mit einer Klotür verwechseln; er kann alle vier Ziffern in 2000 lesen. Aber das war denn doch zuviel der Entspannung. Eure verklebten Synapsen scheitern am Rückblick. Ganz anders die Rating-Experten vom „Newseum“ in Arlington / Virginia. Die 100 wichtigsten Ereignisse des Jahrhunderts haben Historiker dort in Stein gegossen. An 61 Events waren die United States beteiligt. That's great. Gold, Silber und Bronze gehen ins Country of understatement. And the winner is: Die Atombombe auf Hiroshima. Vizewichtigster ist Neil Armstrong, first man on the moon, und auf Platz drei fliegen japanische Kamikaze gen Pearl Harbor.

Die wirklich epochalen Sachen dagegen hat man ins Mittelfeld verbannt. Rang 46: Plastik erfunden anno 1909, und der Skandal um eine Zigarre, die nicht zündet, sondern penetriert, ist gar erst an 53. Stelle. Ist das objektiv? Bitte ein neuer Versuch. Eure Arme und Beine werden gaaanz schwer... Markus Völker

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