QUERSPALTE: Je heisser, desto besser
■ Die Hitze hat etwas zutiefst Demokratisches
In den letzten Tagen beginnt der Sommer in Mißkredit zu geraten. Selbst begeisterte Nacktbader beginnen zu klagen, sie könnten die Hitze nicht mehr ertragen. Die 'Super‘-Zeitung nennt zwar »10 Überlebenstips«, doch die helfen auch nicht mehr: Wenn man nach zweitägigen Wochenendausflügen heimkommt, hängen anklagend die Leichen aus dem Blumenkasten, kleine Tierchen krabbeln im Küchenmülleimer umher. Heiß ist der Stein, auch wenn er nicht brennt. Verloren blicken dicke Kassiererinnen an den Kassen von »Minimal«, »Plus« und »Bolle«. Die Milch gerinnt in den Eutern der Kühe. Auf der Straße fallen Leute um. Auch die Klimaanlagen sind längst zusammengebrochen. Geöffnete Eiskühltruhen helfen da wenig. Linke, Rechte und auch Parteilose fordern ein Ende des Sommers. Sie verkennen jedoch wie gewöhnlich die Stimmung in der Stadt. Denn nur vordergründig sehnt sich der/die StädterIn nach Regen. Sensationslüstern hofft man/frau im stillen statt dessen, daß es so weitergehen möge; hin zu neuen Hitzerekorden und »Ich war dabei!«.
Wie der bitterste Frost, so hat auch die sengende, knallende Hitze etwas zutiefst Humanes, Kommunikationsförderndes, mithin Demokratisches. Selbst eingefleischte Misanthropen beginnen ihre Mitmenschen plötzlich zu schätzen. Sympathisch wirken die derangierten Kleider der Menschen in der Schlange vor dem Euroscheckautomaten; im »kalten Deutschland« sprechen schwitzende Menschen plötzlich miteinander über das gemeinsame Leiden unter der Sonne. Manch ein Flirt gelingt auch den einsamen Menschen in der U-Bahn. Anstatt also herumzumäkeln und vorschnell ein Ende des Sommers zu fordern, sollte man lieber auf eine Steigerung hoffen. Und: Wem an einer wirklichen Demokratisierung der Gesellschaft gelegen ist, der sollte auf Wassersparmaßnahmen des Senats setzen. Gemeinschaftsduschen beispielsweise könnten einem solidarischeren Gemeinwesen nur förderlich sein. Detlef Kuhlbrodt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen