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■ Pünktlich zur Reisesaison und überhaupt:Nieder mit dem Rucksack!

Vor nicht einmal allzu langer Zeit begab es sich, daß ein Berichterstatter dieser Zeitung unter dem noch frischen Eindruck allzu traumatischer Erlebnisse in noch dazu studentischem Umfeld sich dazu verstieg, alle Rucksackträger pauschal als „potentielle Mörder“ zu verunglimpfen.

Inzwischen wieder bei Sinnen, will ich an dieser – wie keine andere geeigneten – Stelle bußfertig Abbitte leisten für die damalige Entgleisung. Das Wörtchen „potentielle“ nämlich ist in diesem Zusammenhang fürwahr völlig fehl am Platze – Rucksackträger SIND samt und sonders blutrünstige Killer, in Tateinheit rücksichts-, skrupel- und mitleidlos, von keinerlei Gewissensbissen angenagt, niederträchtig, gewalttätig und rüpelhaft.

Wo immer sie sich drehen und wenden, wollen sie ganz offensichtlich Köpfe rollen sehen. Leichen pflastern ihren Weg, abgetrennte Gliedmaßen säumen ihr Geläuf. Gewiß, ein jeglicher hat sein Päckchen zu tragen, irgendwas muß immer mitgeschleppt werden, und in den paar tausend Jahren Menschheitsgeschichte sind allerlei praktische Tragegeräte zu diesem Behufe erdacht und zur Serienreife gebracht worden.

Nichts davon aber kommt dem Rucksack gleich, diesem heimtückischen Mordwerkzeug, das schon beim Schultern siebene auf einen Streich erledigt. Oftmals bergen die mordlüsternen Beuteltiere Gewichtiges in den geheimnisvollen Tiefen ihrer Schulterauswüchse, Scharfkantiges oder Spitzes. Sie legen ungeheuren Einfallsreichtum an den Tag, sobald es nur darum geht, neue Folter- und Tötungsapparaturen zu ersinnen, die mit absoluter Präzision metzeln und meucheln, auch wenn sie zur Tarnung von Segeltuch, Sympa- oder Gore-(!!!)Tex umhüllt sind.

Mordbuben und -mädels räumen Parkbänke ab

Schwer und tödlich liegt der prothetische Buckel auf der Schulter des ruchlosen Henkers, der scheint's ohne Arg durch möglichst bevölkerte Stadtlandschaften stapft und unvermittelt zu kreiseln beginnt, auf daß das Blut seiner enthaupteten Opfer über ihn komme. Mit nur einem Schulterschwung räumen beutelgewappnete Mordbuben und -mädels ganze Parkbänke ab, daß die dürren Rentnerleiber nur so spritzen. Paare und Passanten wirbeln durch die Lüfte, Radfahrer werden kurzerhand aus dem Weichbild gewischt. Krüppel schlagen Kapriolen und kugeln hilflos in die Gosse. Blutverkrustete Dreck-Säcke säbeln nieder, was immer in ihren Radius gerät, rotierende Beutel zerdeppern, schreddern, rasieren ohne Ansehen der Person. Munter brechen Knochen, Hirnschalen, Nasenbeine; Frakturen rundum und allerorten – ein suppiger Strom von Blut, Angstschweiß und Tränen ergießt sich in die völlig überlastete städtische Kanalisation und bringt die Kläranlage schier an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit.

Wer nur eine Beule zurückbehält, möge über glückliche Fügungen räsonieren und sein neu gewonnenes Leben hinfort bewußter genießen. Andere, von den Schicksalsmächten weniger präferierte Zeitgenossen sind schon zwischen zwei oder gar drei Bürdenträgern zermalmt, ach was: bei vollem Bewußtsein aller Beteiligten mit Wonne zermanscht worden.

Erst nach Sonnenuntergang läßt das Morden nach. Die Aggressoren schnallen den blutbesudelten Tornister fester, ziehen sich an ihre Tränken zurück, kippen wohl manch einen Bocksbeutel hinter die Halskrause und versacken dabei auch gern einmal. Dies ist die Stunde, in der verschüchterte Bürger furchtsam um die Ecken streichen; ganz tapfere bilden geheime Widerstandsgruppen. Schon kursieren Aufrufe zur Gegenwehr, und auch dieses ist einer. Grad wie von ungefähr war zu erfahren, daß Beutel- und Riemenschneider allmählich zur Mangelware werden. Der Tag steht bevor, an dem der Wackerste unter den Gepeinigten das erste Trageband mit kühnem Streich zerteilt – und wahrlich, ich sage Euch, hernach wird kein Halten mehr sein... Harald Keller

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