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■ Psychischer Druck und mangelnde InformationZu viele Fragen an den Rechtsstaat

Der ausländische Diskussionsteilnehmer nennt in der letzten Woche C 183 auf Rhein-Main ein „Konzentrationslager“. Ganz abwegig ist es wohl nicht, wenn Menschen, die Flüchtlinge in dem hermetisch abgeschlossenen Raum kennengelernt haben, das C über der Eingangstür als concentration und als camp lesen. Die Akademische Amerikanische Enzyklopädie definiert concentration camps als „Gewahrsam für Zivilisten, die politisch als Feinde angesehen werden“. Rechtsanwälte, die Mandanten in C 183 betreuen, sprechen von einem Gefängnis. C 183 wirkt sich ähnlich wie eine der hochmodernen Folterkammern aus, in denen Menschen ohne physische Gewalt Höllenqualen erleiden. Tag und Nacht peinigt sie die Angst, in ihre Heimat zurückgeschoben zu werden. Sie werden gewalttätig gegen die eigene Person, rennen sich ein Messer in den Bauch oder treten in einen Hungerstreik. Lieber, so sagen sie, wollten sie hier Hungers sterben, als in den Gefängnissen ihrer Heimat umkommen.

In der Presseerklärung der Innenministerkonferenz vom 26. November wird darauf hingewiesen, daß zur Zeit ausschließlich auf dem Flughafen Frankfurt am Main ein Bedarf von etwa sechzig „Gewahrsamsplätzen“ bestehe. Da hätten wir die präzise amtliche Benennung, die mit der amerikanischen Definition von concentration camp als place of detention übereinstimmt. Die lex „Severin“, wie Artikel 18a des neugefaßten Asylverfahrensgesetzes von Insidern nach dem Frankfurter BGS-Chef benannt wird, läßt sich über die Form der Unterbringung im Transitbereich nicht näher aus. Der Gesetzgeber glaubt den Erfordernissen des Rechtsstaates und denen des Asylbewerbers ausreichend Rechnung zu tragen, wenn für die Anhörung des Bundesamtes zwei, für die Einreichung einer Klage drei und für die Entscheidung des Gerichtes vierzehn Tage angesetzt werden. Was die extreme Situation für ein rechtsstaatliches Verfahren und für die Rechtsfähigkeit des einzelnen bedeuten könnte, bleibt außer Betracht.

In der Anhörung des Innenausschusses des Bundestages wußte der Leiter des Bundesgrenzschutzes auf Rhein-Main die Abgeordneten mit den Hinweisen zu beeindrucken, daß die Bundesrepublik für Schleuser- und Bandenorganisationen „im Rahmen des Verschubs von Menschen“ ein „Ruhe- oder Durchgangslanger“ sei. Hier habe der Schleuser eine sichere Heimstatt für den Menschen, der sich dann Asylbewerber nenne. Hierbei handele es sich vielfach um Menschen, die eigentlich nach Kanada, Schweden oder die USA wollten. Severin verwies auch auf eine Gruppe von Menschen, die in Deutschland nur Geschäfte machen wollten und, weil sie kein Touristenvisum bekommen hätten, Asyl beantragten. Das ist die Optik, wie sie sich aus dem Sehschlitz eines Bunkers bietet. In dieser Perspektive sind die bundesdeutschen Flughäfen die letzten Einfallstore für Flüchtlinge, die zugeschlagen werden müssen.

Die Flughafenregelung des Paragraphen 18a ist neben der Einführung der sicheren Drittstaaten und der sicheren Herkunftsländer ein Kernstück des neuen Asylrechts. Es setzt dem Bundesgrenzschutz, dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, den Anwälten und Richtern kurze Fristen für die Verfahren von Asylbewerbern. Um Stunden geht es, wenn die „Zurückschiebung“ eines Asylbewerbers in ein „sicheres“ Durchreiseland verhindert werden soll. Eine Datenleitung versorgt das Bundesamt mit aktuellen Informationen aus der Nürnberger Zentrale. Kuriere rasen zwischen Frankfurt und Wiesbaden hin und her, um Archivmaterial beizubringen, Anwaltskanzleien arbeiten bis tief in die Nacht, Richter setzen Urteile handschriftlich ab, um sie anschließend an den diensthabenden Leiter des BGS zu faxen, Bundesverfassungsrichter greifen zum Telefon, um in letzter Minute zu verhindern, daß ein Flüchtling mit dem nächsten Flugzeug abgeschoben wird.

Auf dem Flughafen Rhein-Main bündeln sich die Probleme der neuen Asylpolitik wie in einem Brennglas. Unter der Oberfläche hektischen Funktionierens stehen entscheidende Fragen der Rechtsstaatlichkeit an. Zu befinden ist u.a. darüber, ob das neue Asylrecht mit der Einführung sogenannter sicherer Drittstaaten verfassungsgemäß ist, ob Gerichte entgegen dem Wortlaut des Begleitgesetzes die „Zurückschiebung“ in ein Durchreiseland verhindern können, ob der allseitige Termindruck mit Erfordernissen der Rechtsstaatlichkeit in Einklang zu bringen ist. Dabei ist vor allem auch zu klären: Ist der internierte, psychisch derangierte und desinformierte Flüchtling im Transitbereich das für die Wahrnehmung seiner Interessen rechtsfähige Subjekt? Es bleiben die Fragen nach der rechtsstaatlich bedenklichen Gestaltung des Gewahrsams, nach der beschränkten Zugangsmöglichkeit rechtskundiger Personen, nach der allzu schnellen Abqualifizierung eines Asylantrags als „offensichtlich unbegründet“ und der damit verbundenen Verkürzung des Rechtswegs, nach der beschränkten richterlichen Kontrolle von Behördenentscheidungen und nach dem generellen Ausschluß einer mündlichen Verhandlung im Eilverfahren. Viele Fragen, zu viele für einen wirklichen Rechtsstaat!

Der BGS erwarte um den 24. Dezember herum die Ankunft einer hochschwangeren Frau aus dem Vorderen Orient. Sie käme über einen sicheren Drittstaat. Die interne Dienstanweisung laute: „vorübergehend reinlassen!“ Je zwei Grenzschützerinnen müßten rund um die Uhr bereitstehen, falls die Frau wegen drohender Niederkunft in die Uni-Klinik gebracht würde. Die Beamtinnen sollten im oder doch wenigstens vor dem Kreißsaal Posten beziehen; sei doch die Gefahr nicht auszuschließen, daß das Neugeborene versuchen könnte, illegal in die Bundesrepublik einzureisen. Im übrigen stehe es bereits auf der Fahndungsliste eines befreundeten Geheimdienstes. Herbert Leuninger

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