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Archiv-Artikel

Prêt-à-Porter Haute Couture von der Stange

Während Dries van der Noten Anleihen bei der Folklore sucht, nimmt Galliano für Dior die Opulenz zurück

Es ist die anmutigste Kollektion gewesen, die balancierteste und auch die schönste. Gut – wenn 500 Gäste an einer langen, weißbetuchten Tafel Platz nehmen, wo 250 Kellner ihnen Wein in kristallene Gläser füllen, in einer gigantischen, düsteren Fabrikhalle am Stadtrand von Paris, dann ist ein gewisses Flair vorgegeben. Dries van Notens fünfzigste Kollektion allerdings hätte auch ohne den hübsch dekadenten Rahmen zu wirken gewusst.

Dabei verhieß das Thema nichts Gutes. Balkan: Wenn sich die Mode suchend den anderen Kulturen zuwendet, dann kommt nicht selten ein Kostüm heraus. Dries van Noten, der zu der Gruppe belgischer Designer zählt, die Mitte der Achtzigerjahre als „Antwerp Six“ bekannt wurden, ist in keine der Fallen gegangen, die Ethno bereithält. Ihm ist ein atemberaubendes Gleichgewicht gelungen zwischen Vintage, Tradition und dem, was man noch nicht gesehen hat. Über die Tafel, die zum Laufsteg wurde, schritten: Ein taubenblaues Kleid aus weicher, schwerer Seide, knielang schwingend, ockerfarbene Blütenkelche darauf und ein goldener Schimmer darüber. Durchscheinender Baumwollbatist, blumenbestickte Röcke. Volumen haben die Röcke unter ihren schmalen Taillen alle, seien sie gesmokt oder in mehrere Lagen geschichtet. Matte Farben, die Drucke ein wenig verlaufen, ganz entfernt batikartig. Es sind Kelche zumeist, nicht diese Mädchenblumen en face, was die ganze Sache erwachsener macht. Van Noten hat Anleihen genommen bei der Folklore, nicht mehr.

Wie schön also kann die Mode sein, wenn man das Zicken und Wedeln von ihr abzieht. Und den Türsteher bei Dior, an dem es kein Vorüber gibt. Vor der Absperrung stehen auch die Tierschützer. „Sie tragen einen Kadaver um den Hals, Madame!“ Die Stimme der einen überschlägt sich, die andere hastet hinein. „Dior’s Reality“ titelte die Women’s Wear Daily am Tag danach und ließ dann folgen: „Thank-you, John. Thank-you. Thank-you. Thank-you. Thank-you. Thank-you.“ Was hat John Galliano, Chefdesigner im Haus Christian Dior, getan? Er hat tragbare Mode geschaffen, eine Kollektion, „based on real clothes“. Weswegen jetzt helle Aufregung ist. Bisher nämlich war Galliano eher fürs Übersteigerte bekannt. Er hat die Couture ins Prêt-à-Porter gebracht – und jetzt die Opulenz wieder zurückgenommen. Der Verkäuflichkeit wegen? Darum schließlich, anders als in der Haute Couture, geht es in der gehobenen Konfektion. Diors Wirklichkeit nun, das sind Mangashirts zu munter geringelten Overknees. Oder pastellige Chiffonoutfits. Ein elfenbeinfarbenes Bouclékostüm: Es schiene ein Chanel, wären da nicht die aufgesetzten Denimtaschen. Und schließlich das Shirt mit der Faust und der, nun ja, Botschaft: „Dior not war“. Lieber noch kurz von den Taschen sprechen, von denen es zu jedem Outfit eine gab. Besonders hübsch der Kasten, auf den die Henkeltasche einfach aufgesetzt war. Optimal packbar, etwas umständlich im Gebrauch: Doch was wäre die Mode ohne die Obstruktion.

Viktor & Rolf etwa, das holländische Designerduo, müssen sich Ähnliches gedacht haben. Sie haben die Schleife auf die Spitze getrieben und sich erst in Schwarz, dann in Pink als gigantische Verpackungskünstler gezeigt. Bei Galliano ist die Frau ja eher in Drag. Bei V&R ist sie kostbar auf eine recht abstrakte Art. Man wickelt sie ein; sorgsam, gewiss. Dann wippt es an ihr und pendelt. An einem aber bleibt kein Zweifel: Geschenk ist sie nur mitsamt der Verpackung. Auswickeln gibt es nicht. KATRIN KRUSE