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Archiv-Artikel

Prozess wegen Missbrauch im Krankenhaus Zivi begrapscht geistig Behinderte

Petra W. ist geistig behindert und kann deswegen nicht reden. Daher hat sie auch nichts gesagt, als der Zivildienstleistende Sascha L. sie bat, sie solle mit ihm im Keller Wäsche holen, als er sie dort bat, sich auszuziehen, und auch nicht, als er ihr an die Brust und zwischen die Beine fasste. Sie kann deswegen auch nicht vor Gericht gegen ihn aussagen.

Es wäre nicht herausgekommen, was Sascha L. mit ihr im Keller des Evangelischen Krankenhauses Königin Elisabeth Herzberge versuchte, hätte er nicht am Tag zuvor Ähnliches mit einer Frau getan, die sprechen kann, mit Angelika B. Die berichtete ihrem Verlobten und dessen beiden Betreuern von den beiden Händen, die im Fahrstuhl ihre Brüste ergriffen, und so kam die Polizei ins Krankenhaus und so sitzt Angelika B. nun im Moabiter Gericht und freut sich diebisch, dass sie mit dem Vorsitzenden der 16. Großen Strafkammer Hans Boß plauschen kann.

„Ich wollte oben im Krankenhaus bleiben und erst mal gesund werden“, erzählt sie ihm, „aber der hat immer gesagt: ‚Kommste mit.‘“ Dann macht sie wieder und wieder vor, was er tat – sie fasst sich mit den beiden Händen an die Brüste –, und sie berichtet auch, wie sie reagierte: „Bitte weg“, und was sie von seinem Vorhaben hielt, sein Glied aus der Hose zu holen: „Mein Lieber, lass dit ma schön drin.“

Die Klinikleitung war also vorgewarnt und tat doch erst mal nichts. Sascha L. durfte weiter Zivi sein. Das hieß: den Tisch decken, mit den Patienten basteln, mit ihnen essen, sie waschen. Aber als er am nächsten Tag auch Petra W. bat, mit ihm in den Keller zu gehen, da wurde ein Pfleger skeptisch und folgte den beiden auf dem Fuß und wurde Zeuge.

Die Betreuerin und Anwältin von Petra W. macht der Klinikleitung nun Vorwürfe. Sie hätte Sascha L. gleich aus der Station herausnehmen sollen, auch auf die Gefahr hin, dass sein erstes Opfer Angelika B. nicht die Wahrheit gesagt hat. Und überhaupt hätte sie dafür sorgen müssen, dass Zivis wie Sascha L. besser eingewiesen werden.

Weil das nie passiert ist, gestaltet sich auch der Prozess gegen Sascha L. schwierig. Denn der ehemalige Fleischer hält sich nach wie vor für einen guten Zivi. „Es gab Leute, die konnte nur ich dazu bewegen, zu essen“, sagt er stolz. Wie man mit psychisch Kranken und geistig Behinderten umgeht, das hat er sich selbst beigebracht. Er durfte weibliche Patienten in der Dusche waschen und es schien ihm, als mochten sie ihn. Und dass Petra W. lachte, als er sie anfasste, deutete er als Zustimmung. Er wusste ja nicht, dass Petra W. auch lacht, wenn ihr etwas missfällt, wie viele Behinderte, die ohne Sprache sind.

Inzwischen hat die Betreuerin von Petra W. Beschwerde bei der Klinik eingelegt. Seither dürfen männliche Zivis weibliche Patienten nicht mehr waschen und werden am Anfang ausführlich eingewiesen. Ob Sascha L. aber wegen „sexuellen Missbrauchs von Hilfsbedürftigen in Einrichtungen“ verurteilt wird, hängt auch davon ab, ob das Gericht Angelika B. glaubt. Die verabschiedet sich von Richter Boß, von der Staatsanwältin und den Psychologen lachend und mit Handschlag. Nur einen konnte sie nicht angucken und auch nicht identifizieren: den Angeklagten.

„Nee“, sagt sie, „da kommen mir nur die Tränen. Ich sage, was ich weiß, und was anderes sage ich nicht.“ Da murmelt der Richter: „Ja, hier wird immer so viel gefragt.“ Der Verteidiger überlegt lang, wie er möglichst einfache Fragen stellen und aus ihr herausbekommen kann, dass sie seinen Mandanten nicht erkennt. „Sie sollten sowieso immer einfach fragen, das bewährt sich bei allen Zeugen“, schimpft der Richter. Der Anwalt fragt also: „Welche Kleidung hatte der Zivi denn an?“ Angelika B. antwortet: „Dit weiß ich nicht. Aber er hatte einen Bart und kurze Haare. So wie heute.“ MAREKE ADEN