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Provider sollen Zugänge sperrenMusikindustrie stoppt Klagen

Im Kampf gegen User, die illegal Musik im Internet anbieten, ändern die Plattenfirmen ihre Strategie nun radikal: Sie wollen sich von den Providern helfen lassen - und Zugänge notfalls abdrehen.

Wer illegal Musik zum Download bereitstellt, kann bald nicht mehr surfen. Bild: dpa

Wer in den USA beim illegalen Anbieten von Musikstücken in Online-Tauschbörsen erwischt wird, hat einiges zu befürchten: So kann ein einziges Album sechsstellige Schadenersatzbeiträge hervorrufen, stellt man Hunderte Songs ins Netz, werden es Millionen. So wurden bereits alleinerziehende Mütter, Teenager oder Senioren belangt, die sich selbst nicht mehr erinnern konnten, jemals eine Peer-to-Peer-Software installiert zu haben. Entsprechende Schlagzeilen, hofft man beim US-Musikbranchenverband RIAA, sorgen dafür, dass die Nutzer verstehen, dass sie sich hier auf dünnem Eis bewegen.

Doch diese Strategie ändert sich nun. Wie das "Wall Street Journal" am Wochenende berichtete und von der RIAA am Sonntag bestätigt wurde, will die Industrie künftig keine Massenklagen mehr durchführen. Aufatmen können potenzielle Musikpiraten aber trotzdem nicht. Stattdessen will die Branche künftig mit großen Internet-Anbietern zusammenarbeiten und Nutzern, die zu viel tauschen, notfalls automatisiert den Anschluss abdrehen lassen.

Entsprechende Verträge mit den Providern sollen laut "Wall Street Journal" bereits weit gediehen sein. Die geplanten Sanktionen reichen demnach von einer Drosselung der Zugangsgeschwindigkeit bis hin zur Komplettsperrung des Zugangs und der Verweigerung, dem Kunden einen neuen Anschluss zu verlegen. Die Provider seien auch deshalb offen für solche Pläne, weil sie selbst gerne Inhalte der Musikbranche über ihre Zugänge vermarkten würden.

Ob die neue Strategie für die Benutzer besser ist als die alte, gilt unter Fachleuten als stark umstritten. So freut sich Fred von Lohmann, Justiziar der Netzbürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF), zwar darüber, dass die Klagekampagne nun endlich ein Ende gefunden hat: "Für uns war das ein überfälliger Schritt, das Vorgehen war sowohl für die Nutzer als auch für die Musikkonzerne selbst ein Reinfall." Doch die enge Zusammenarbeit zwischen Providern und Plattenfirmen birgt laut von Lohmann auch erhebliche Gefahren. So könnte die Durchsetzung der neuen Regelung in einer rechtlichen Grauzone erfolgen: Was, wenn plötzlich ein falscher Nutzer von einer Abschaltung seines Internet-Zugangs bedroht ist? Und was, wenn dessen Möglichkeiten, sein tägliches Brot zu verdienen, durch den abgedrehten Anschluss massiv bedroht wären?

Der neue Ansatz der RIAA ähnelt in vielen Punkten so genannten "Three Strikes"-Regelungen, wie sie in Frankreich und Großbritannien vorgeschlagen wurden, bislang vor dem EU-Parlament allerdings gescheitert sind. In Frankreich forderte der von Präsident Nicolas Sarkozy eingesetzte "Urheberrechtszar" Denis Olivennes, der als Boss der Elektronikkette FNAC selbst mit Musik handelt, dass Nutzern künftig nach drei Vergehen der Anschluss gekappt wird. Auch hier melden Medienkonzerne die Teilnahme an Tauschbörsen, der Provider verschickt dann "blaue Briefe". Zusätzlich können sie außerdem zivilrechtlich gegen den Hochlader geschützten Materials vorgehen. EFF-Mann Fred von Lohmann zufolge fehlt bei solchen Verfahren die Einschaltung des Rechtsstaates völlig. Hinzu komme, dass man in heutigen Zeiten Menschen nicht einfach die Nutzung eines derart wichtigen Kommunikationsmittels sperren dürfe.

In Deutschland sind Gespräche zu "Three Strikes"-Regelungen bislang noch nicht sonderlich weit fortgeschritten, vom Tisch sind sie allerdings keineswegs, denn die Industrie macht Druck. Dieter Gorny, Vorsitzender des Bundesverbandes Musikindustrie, hält Massenverfahren gegen Urheberrechtsverletzer nur für "eine Notwehrlösung, solange keine effizienten Alternativen umgesetzt" würden. "Ohne die Bereitschaft von Politik und Providern in Deutschland, den Versand von Warnhinweisen zumindest zu testen, bleibt uns keine Alternative zur juristischen Verfolgung", sagte Gorny in einer Stellungnahme, in der er die Pläne der RIAA in den USA begrüßte. In den letzten zwei Jahren wurden laut dem Verband über 50.000 Anzeigen bei Staatsanwaltschaften eingereicht.

Letzteren schmeckt das massive Vorgehen übrigens gar nicht - einige entschieden sich, die Massenverfahren wegen fehlendem öffentlichen Interesse gleich in großer Menge wieder einzustellen, weil ihre reguläre Arbeit unter der Klageflut litt. Inzwischen gelangen Medienkonzerne dank Veränderungen beim Urheberrecht allerdings leichter an die Daten von der Copyright-Verletzung beschuldigter Nutzer, was die zivilrechtliche Verfolgung erleichtert. Das ändert allerdings nichts daran, dass sie ein großes Interesse an einem automatisierten Prozess nach "Three Strikes"-Muster hat, sagen Beobachter.

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