Protest: Öko-Ufos im Gerstenfeld
Feldbesetzer blockieren den Bau des größten Geflügel-Schlachthofs Europas. Die Anwohner bringen Care-Pakete und bekommen dafür sonntags Kuchen.
Ein dicker Mann schleppt Bier und Sojamilch durch ein Gerstenfeld und schwitzt. Sein Hemd zieren kleine Sonnenschirme. "Bier für die Männer", ruft er als er den Kasten einem jungen Mann vor die nackten Füße stellt. Und etwas leiser: "Soja für die Frauen." Im Hintergrund wird ein zappelndes Mädchen im Schneidersitz vorbei getragen.
Am westliche Ortsrand von Wietze haben junge Aktivisten vor zwei Monaten Stellung bezogen. Mit Zelten und Holzhütten haben sie sich auf einem Gerstenfeld eingerichtet, um den Bau des größten Geflügel-Schlachthofs Europas zu blockieren. 135 Millionen Hühner sollen hier pro Jahr im Schichtbetrieb geschlachtet werden - das sind 27.000 Tiere in der Stunde, siebeneinhalb jede Sekunde.
In Wietze brach um 1900 das Ölfieber aus und als es in den 60er Jahren wieder verebbte, blieben der Gemeinde nur eine Abraumhalde, ein Lagerplatz und das Erdölmuseum. Der Investor Rothkötter will das mit seinem Mega-Schlachthof ändern und verspricht 1.000 neue Arbeitsplätze. Der Bürgermeister ist begeistert, die Bürger nur bedingt.
Der Bau des Mega-Schlachthofs sollte im Eiltempo geschehen, doch die Bürger stellen sich quer.
Herbst 2009: Gerüchte über die Ansiedlung eines Fleisch verarbeitenden Betriebes.
14. Februar 2010: Offenlegung der Bau-Pläne durch das Gewerbeaufsichtsamt.
März: Gründung des Vereins "Bürgerinitiative Wietze".
23. Mai: Feldbesetzung.
Juni: Bürgerbegehren gegen den Bau abgelehnt, BI klagt.
Im Moment: Vorbereitung einer Klage gegen das Baugenehmigungsverfahren.
Um den Schlachthunger der neuen Anlage zu decken, müssten in der Region 420 neue Mastanlagen gebaut werden. Durch zusätzliche 1.000 Lastwagen pro Woche würde die angrenzende Bundesstraße 214 zum "Hühner-Highway", befürchtet die Bürgerinitiative, die das Camp im Gerstenfeld unterstützt. Kürzlich begrüßte sie das 777. Mitglied.
"Die bringen Care-Pakete vorbei und bieten uns ihre Duschen an", erzählt der Besetzer Tim, während er tassenweise Käfer aus dem selbst gegrabenen Brunnen schöpft und vor dem Ertrinken rettet. Tim ist 19. Bis zum Camp hat er für VW gearbeitet. Eigentlich wollte er nur ein paar Tage in Wietze bleiben, doch mittlerweile hat er Job und Wohnung gekündigt. "Nach dem Camp ist vor dem Camp", sagt er über seine Zukunft und lacht. Hinter ihm wird schon wieder das Mädchen über den Platz getragen. Diesmal in die andere Richtung.
Das mit der Unterstützung aus Wietze war nicht immer so. Als die ersten Besetzer vor zwei Monaten barfüßig und mit erdigen Händen im Dorf Einkaufen gingen, konnte sich kaum ein Bewohner vorstellen, mit ihnen für eine gemeinsame Sache zu streiten. "Die haben uns für Hobbits gehalten", erinnert sich Tim und kletterte aus dem Brunnen. Die ersten Käfer beginnen schon wieder mit dem Abstieg Richtung Grundwasser.
Einige Meter vom Brunnen entfernt, vorbei am Infoladen und der Bretterhütte, die sie Wohnzimmer nennen, rammen drei Besetzer mit braun gebranntem Oberkörper Bretter in den Boden. Am Wochenende kommt "Alarmsignal", Punk aus Celle. Dafür zimmern die drei eine Bar. Das Camp ist ein kleines Dorf: Was fehlt, wird gebaut.
Jede Entscheidung wird im Konsens getroffen. Abends ist Plenum. Jeden Tag. "Das kann schon sehr anstrengend sein", gibt Tim zu. Wichtig sei eine straffe Organisation. "Es wurden schon Camps totgeredet, das darf hier nicht passieren", sagt Tim. Er wirkt aufgeräumt, das ist nicht seine erste Besetzung.
Dreimal am Tag klettert er auf eine zehn Meter hohe Holzplattform. Sie wird getragen von einem Tripod, einer Dreibein-Konstruktion aus bis zu vierzehn Meter langen Baumstämmen, aufgestellt in nächtlicher Handarbeit. Wie Öko-Ufos ragen diese Plattformen aus dem Gerstenfeld. Bei einer Räumung verschanzen sich zwei Aktivisten auf jeder Plattform. Nur ausgebildete Polizei-Kletterer können sie von dort entfernen.
Auf dem Weg zur Küche des Camps entspannen sich Tims ernste Züge. Kurz unterhält er sich mit dem Mädchen, das wieder mit gekreuzten Beinen auf dem Boden sitzt und darauf wartet, davon getragen zu werden. Heute proben sie am Rande des Camps kreative Protestformen für Gerichtsverhandlungen.
Titus kauert währenddessen vor einem Ofen und beobachtet eine Pizza beim Backen. Seine braunen Dreadlocks hängen auf die schwarzen Füße. Er ist Schüler und erst seit einer Woche hier. Den Ofen ist selbst gebaut, mit ein paar Backsteinen und Zement. "Wir backen hier unser eigenes Brot", schwärmt Titus.
Auf den Regalbrettern türmen sich Aufstriche, Gemüse, Obst und Brot. Gekocht wird ausschließlich vegan. Koch ist, wer gerade Lust dazu hat. Zu essen gibt es immer genug. Viele Besucher informieren sich über vegane Ernährung und holen sich Einkaufstipps bei den Besetzern. "Einige sind in den zwei Monaten sogar zu Vegetariern geworden", behauptet Titus. Samstags geben die Besetzer vegane Kochkurse, sonntags backen sie Kuchen für alle. Obwohl das besetzte Feld am Ortsrand liegt, scheint es das geheime Zentrum für viele Wietzer geworden zu sein.
Die Dorfjugend provoziert
Doch es ist längst nicht alles Friede-Freude-Eierkuchen: Einen Steinwurf entfernt hat ein rumänischer Zirkus sein Zelt aufgeschlagen und seit ein nächtlicher Besucher Tierrechts-Parolen an den Wohnwagen eines Artisten gesprüht hat, ist das Nachbarschaftsverhältnis gestört: Sollte so etwas noch einmal vorkommen, zerlegen die Rumänen das Camp. Bisher hat die Drohung gereicht.
Eine weitere Front ist die Dorfjugend. Mit Hup-Konzerten und "Sieg Heil"-Rufen locken die "Dorfnasen" die Besetzer nachts zur Straße, fahren aber davon, bevor es zur Konfrontation kommt. "Das gehört schon zur Routine - von Null bis Drei ist eben Atzen-Time", sagt Tim und zuckt mit den Schultern.
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