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Pro und ContraSchlägt die Krise 2010 voll durch?

Wirtschaftlich stand 2009 vor allem im Zeichen der schweren Krise, die im Herbst 2008 ausbrach. Wird es in diesem Jahr erst richtig schlimm? Ein Pro und Contra.

Guter Ausblick für 2010? Container im Hafen Hamburg. Bild: dpa

P RO:

Das große Beben der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise ist schon über ein Jahr her, doch die letzte Welle der Erschütterungen steht uns noch bevor. Wenn 2010 die Kurzarbeiterregelungen auslaufen, werden die Arbeitslosenzahlen steigen. Wohl nicht so hoch, wie befürchtet - aber das ändert nichts daran, dass 2010 die Krise in Deutschland zu hunderttausenden zusätzlichen Arbeitslosen führen wird.

Doch auch mit diesem Nachbeben wird die Krise noch nicht überstanden sein. Denn der sich abzeichnende - noch immer schwache - Aufschwung der Wirtschaft, in dessen Erwartung auch die Börsenkurse wieder nach oben schossen, ist nur geborgt. Er fußt auf staatlichen Konjunkturprogrammen und nährt sich vom billigen Geld, das die Zentralbanken nach wie vor fast kostenlos auf den Markt werfen.

Diese beiden Aufputschmittel stehen bald nicht mehr zu Verfügung. Die Regierungen müssen ihre Haushalte in den Griff bekommen, die Zentralbanken die Inflationsgefahr. Das wird die Euphorie an den Börsen wieder dämpfen, Kredite teurer machen und die Unternehmen, die sowieso schon über restriktive Vergabepraxis der Banken beim Geldverleih klagen, erneut in Schwierigkeiten bringen.

Anstatt das Geld der Realwirtschaft zur Verfügung zu stellen, nutzen die Banken nämlich die von den nationalen Instituten bereitgestellten Summen gegenwärtig, um an den Börsen zu zocken. Gold, Rohstoffe, Immobilien - an vielen Stellen sind schon wieder neue Blasen entstanden, die 2010 platzen könnten. Selbst das Geschäft mit Kreditverbriefungen - einer der Auslöser der Finanzkrise - ist längst wieder angelaufen. Und eine krisenfestere Weltwirtschaftsordnung existiert bislang nur als Absichtserklärung in den Kommuniqués der G-20-Gipfel.

Die Staats- und Regierungschefs haben sich vor der Systemfrage gedrückt. Sie haben nicht dafür gesorgt, dass der von ihnen gerettete Patient nach dem Herzinfarkt unter strenger Kontrolle leben muss. Stattdessen hat er sich von den Schläuchen losgerissen und jagt wieder nach höchstmöglicher Rendite. Der nächste Infarkt wird kommen - schon bald.

STEPHAN KOSCH ist taz-Redakteur und koordinierte 2009 die Berichterstattung über die Finanzkrise.

CONTRA:

Nein, die Krise wird nicht voll durchschlagen - jedenfalls keinesfalls so, wie sich das viele Menschen vorstellen. Auf der Ebene des Bewusstseins und der Mentalitäten wird sie nicht die katastrophalen Auswirkungen haben, die derzeit prognostiziert werden. Es wird keine Armutsaufstände geben. Die Gesellschaft wird nicht auseinander brechen. Und die Bevölkerung wird auch nicht in Apathie und Depression versinken, wie sich das nicht nur der Soziologe Wilhelm Heitmeyer derzeit medienwirksam ausmalt.

All diese Szenarios verdanken sich einer überholten Sichtweise, die Wirtschaftskrisen immer noch nach dem Modell der schlesischen Weber im 19. Jahrhundert begreift: mit kollektiver Verelendung und sich daran anschließenden Barrikadenkämpfen. Inzwischen ist aber die gesellschaftliche Ausdifferenzierung vorangeschritten. Die hat den Nachteil, dass immer mal wieder einzelne Bereiche der Gesellschaft (diesmal der Finanzbereich) in krisenhafte Situationen geraten. Aber auch den Vorteil, dass dann andere Bereiche (diesmal der Staat) damit nicht gleich handlungsunfähig werden. Und was in den Szenarios vor allem übergangen wird, ist, dass die Mitglieder der Gesellschaft auf solche Krisen inzwischen individueller denn je reagieren können - aber auch müssen.

Wer will, kann sich jederzeit besser funktionierende Gesellschaften ausdenken. Genau von diesem Engagement und diesem ständigen Optimierungswillen lebt schließlich das ganze moderne Wirtschaftssystem. Wer aber glaubt, Patentlösungen für immer anbieten zu können, der hat die Macht der Moderne noch nicht verstanden. Nichts in ihr ist sicher - kein noch so stolzer Bankenturm und auch kein noch so felsenfest gegründet geglaubte Arbeitsplatzidentität. Daran hat die Finanzkrise mit großer Vehemenz erinnert - und von daher erklären sich auch die Sorge und die Wut, die mit ihr einhergehen.

Was derzeit durchschlägt, ist eher der Kampf um die nicht schmerzlos zu habende Einsicht, dass man sich noch mehr als bisher auf Krisen und Unsicherheitsmanagement als Normalzustand wird einstellen müssen.

DIRK KNIPPHALS ist Literaturredakteur der taz.

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6 Kommentare

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  • KU
    Krise und Berichterstattung

    Das wird jetzt mit der Beichterstattung der Zeitungen ein paar Jahre so gehen: Niedrige Zahlen z.B. bei Arbeitslosen ansetzen, im Hinterkopf die reale haben und dann immer angleichen. Konsum ebenso, nur nach unten.

    Die öffentlichen Kassen sind jetzt schon leer! Die Inflation wird kommen, genauso die Währungsreform. Bleibt nur die Frage, wie sich die Stimmung bei der mehr und mehr ausdünnenden Mittelschicht entwickeln wird. Aber manchen gönne ich es, früher über Hartzis gelästert zu haben und jetzt bald mit ihren hochqualifizierten Jobs in den Arsch getreten zu werden. Genau die Klientel mit den schwarzen Randbrillen und Mänteln, die sich als so smart geben und Minis fahren. Viel Spass euch allen die nächsten Jahre!

  • W
    Werner

    Ach ja, Herr Knipphals,

    jetzt haben Sie es uns, die wir "überholte Sichtweisen" haben, aber gegeben mit Ihrer adaptierten Sichtweise - und zwar sehr wortgewaltig.

    Nachdem "die gesellschaftliche Ausdifferenzierung" wieder mal vorangeschritten ist, treten Sie, der Sie die "Macht der Moderne" offenbar verstehen, uns auf der "Ebene der Mentalitäten" entgegen und erinnern uns daran, dass die "Mitglieder der Gesellschaft" inzwischen "individueller denn je reagieren", ja reagieren "können" und "müssen".

    Dass das Mitglied der Gesellschaft Knipphals das kann, haben Sie mit Ihrem Beitrag bewiesen, ob Sie das auch müssen, kann ich nicht beurteilen.

    Möglicherweise ist die Wahrscheinlichkeit, dass es "keine Armutsaufstände geben (wird)" proportional zur Menge der Beiträge, die Sie in Zukunft zu schreiben gedenken.

    Ein Vorschlag zur Güte: Sie kehren zurück zu Ihrem Literaturleisten und ich verspreche darüber nachzudenken, ob das "ganze moderne Wirtschaftssystem" tatsächlich von meinem "Engagement" und meinem "ständigen Optimierungswillen" lebt.

    Das möchte ich im Gegensatz zu Ihnen auf keinen Fall, das wäre ja furchtbar.

  • K
    Krisenheini

    Ballett der Absagen

     

    Tänzerinnen und Tänzer mit umgehängten großen Plakaten, auf denen Original-Absagen stehen, fassen sich an den Händen und drehen sich immer schneller im Kreis. In der Mitte, auf einem Scheiterhaufen aus Aktenordnern sitzend, salbadert die Sozialberatung (deutlich beschriftet) immer lauter und lauter. Auf einer Leiter steht die Agentur für Arbeit und wirft unablässig Geldscheine auf die Sozialberatung herab. Von Zeit zu Zeit steht die Sozialberatung auf und zündet einige Geldscheine an.

    Nun singen die Tänzer, mal laut und mal leise, in abwechselnden Tonhöhen, kurze Passagen aus den Absagen. Zum Beispiel: Vielen Dank für Ihr Interesse, haben uns leider für einen anderen Bewerber entschieden, Ihre Unterlagen haben wir der Vernichtung (ganz laut mit schrillem, schmerzendem Ton!) zugeführt. Die Sozialberatung schreit Worte dazwischen: Profiling, social engineering; das Arbeitsamt brüllt unablässig: Weiterqualifizieren! Der Tanz der Absagen wird immer schneller und wilder. Schwarzer, stinkender Rauch wird auf die Bühne geleitet, der Lärm schwillt infernalisch an. Die Tänzer sterben nach und nach. Nur Sozialberatung und Arbeitsamt überleben und kriechen hilflos umher.

    Graue Formulare rieseln in den Zuschauerraum.

     

    Vorhang

  • R
    reblek

    "Wenn 2010 die Kurzarbeiterregelungen auslaufen..." Soweit ich weiß, gibt es nur eine solche Regelung, allerdings für viele Arbeiter. Und das verleitet den Autor zum Plural, der SchreiberInnen sowieso schrecklich zu beeindrucken scheint, auch wenn er völlig fehl am Platz ist.

     

    "Die Regierungen müssen ihre Haushalte in den Griff bekommen..." Dito: "ihren Haushalt", denn jede Regierung hat nur einen.

     

    Die beiden Autoren argumentieren jeweils auf einer völlig anderen Ebene, will mir scheinen - einer schreibt über das reale Geschehen, einer über die Wirkung auf die Menschen. Und die könnte schon noch schrecklich werden, wenn die Nachteile, die durch die Veränderungen entstehen, von noch viel Menschen als heute als Problem angesehen werden, das durch "die Ausländer" verursacht ist. Dabei kann es einem mulmig werden.

  • AK
    Andreas Kreuz

    Sehr schön, Herr Knipphals.

     

    Ein Contra ohne ein einziges Argument.

    Sie werden es noch weit bringen in der taz.

  • AR
    A. Rathjen, RAuNI

    Nein - die Krise schlägt erst 2012 richtig durch, dann aber komplett.