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Pro & ContraGibt es dank PID bald Designerbabys?

Kommentar von A. Reimann und B. Dribbusch

Gestattet das Karlsruher Urteil die Auslöschung von Behinderten? Oder haben Familien jetzt endlich eine legale Option, trotz Erbkrankheiten ein gesundes Kind zu bekommen?

Gibt es bald Designerbabys? Bild: photocase

P RO:

Als Deutschland der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen beitrat, hat es sich verpflichtet, deren Inklusion in unserer Gesellschaft voranzutreiben. Die Entscheidung des BGH zur Nichtstrafbarkeit der Präimplantationsdiagnostik (PID) bei der Entdeckung "schwerer genetischer Schäden" von Embryonen, die über künstliche Befruchtung entstanden, geht genau in die umgekehrte Richtung: Sie gestattet die Auslöschung von Behinderten.

Gerade dadurch, dass der BGH ausdrücklich die "unbegrenzte Selektion von Embryonen aufgrund genetischer Merkmale" nicht durch sein Urteil abgedeckt sehen will - was übrigens in der Praxis von vielen angezweifelt wird -, sanktioniert er implizit die "begrenzte Selektion" Behinderter. Genau darin liegt für jemanden, der sich für die Rechte von Menschen mit "schweren genetischen Schäden" einsetzt, der Skandal des Urteils. Zudem lässt das Urteil offen, was genau unter diesem Begriff zu verstehen ist, und eröffnet damit die eugenische Rutschbahn.

Befürworter der Entscheidung verweisen nun darauf, dass die oft späte Abtreibung behinderter Kinder durch eine PID vor der In-vitro-Fertilisation (IVF) vermieden werden könnte. Doch dies trifft ja nur dann zu, wenn die Eltern von dem genetischen Risiko wissen und sich für eine IVF entscheiden. Und selbst dann bleibt der Grund für die "Selektion" der gleiche, ob sie früh oder spät in der vorgeburtlichen Entwicklung erfolgt: Es ist und bleibt der "genetische Defekt".

Ohne Zweifel, alle Eltern wünschen sich gesunde Kinder. Die sind aber weder durch eine PID/IVF noch durch pränatale Diagnostik garantiert. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass die Solidargemeinschaft künftig eine Kinderwunschbehandlung subventionieren möchte, ohne dass eine "Qualitätskontrolle" stattgefunden hat. Und warum sollte sie Menschen mit Behinderungen an unserer Gesellschaft teilhaben lassen, wenn sich deren Existenz so leicht verhindern lässt? Auf diese Weise mutiert der Wunsch nach einem "gesunden" Kind nach und nach zum faktischen Zwang zum genetisch einwandfreien Kind.

ANDREAS REIMANN

ist Geschäftsführer des Vereins Mukoviszidose e. V.

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CONTRA:

Das Urteil des Bundesgerichtshofs dürfte Erleichterung ausgelöst haben bei Paaren, die sich ein Kind wünschen und in deren Familien es Vorbelastungen durch Erbkrankheiten gibt. Bei dem Verdacht auf "schwere genetische" Defekte haben sie jetzt eine legale Option: mithilfe der Präimplantationsdiagnostik sich nur einen Embryo einpflanzen zu lassen, der diese Erbkrankheit nicht in sich trägt. Mit der Schaffung von "Designerbabys" oder der Diskriminierung von Behinderten hat das erst mal nichts zu tun.

Es ist moralisch bedenklich, einen Behandlungsweg gegen das Leid von potenziellen Vätern und Müttern, die ein Erbleiden nicht weitergeben wollen, so bombastisch aufzuladen als bräche mit der Präimplantationsdiagnostik die abendländische Ethik in sich zusammen. "Designerbabys" wünschen sich die betroffenen Eltern bestimmt nicht - ihnen dürften Augenfarbe oder Geschlecht eher unwichtig sein, wenn das Damoklesschwert einer schweren Erkrankung über der Familie schwebt. Eine Schwangerschaft über künstliche Befruchtung, PID und Implantation herbeizuführen, ist zudem eine teure, riskante Sache. So etwas machen nur Frauen, die gewichtige Gründe haben. Es ist auch nicht in Ordnung, Verbot oder Erlaubnis der PID als Maßstab zu benutzen für den guten oder schlechten Umgang der Gesellschaft mit Behinderten. Da gibt es ganz andere Kriterien anzulegen in Schulen, Pflegeheimen, bei der Verteilung von Haushaltsmitteln.

Die noch ausstehende schriftliche Begründung des Urteils wird zeigen, ob der Gesetzgeber Abgrenzungen vornehmen muss. Einschränkungen können recht klar sein: Etwa indem man nur auf bestimmte unheilbare Erbkrankheiten testen darf und auch nur bei Risikoeltern. In Frankreich beispielsweise gibt es die PID nur mit strengen Einschränkungen. Man kann neue medizinische Optionen, die für konkrete Menschen konkretes Leid lindern, nicht verbieten, nur weil sich daraus neue Gefahren ergeben, die auch Grundsatzdiskussionen erfordern. Genau solch ein vorauseilendes Verbot ist nämlich - lebensfeindlich.

BARBARA DRIBBUSCH

ist Inlandsredakteurin der taz

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11 Kommentare

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  • K
    Kristin

    Sind Behinderte etwa keine Menschen oder was? O.o

  • E
    EnzoAduro

    Im übrigen glaube ich das es eh kommen wird, wenn es technisch möglich wird. Ob das der Fall sein wird und wenn ja wann ist unklar. Aber zum Notfall geht man in ein Land in dem es erlaubt ist. Genauso wie heute schon viele zur künstlichen Befruchtung nach Osteuropa gehen, wo es weniger strikte Gesetze gibt und dadurch auch simplere Verfahren gewählt werden können

  • E
    EnzoAduro

    Was, außer der sozialen Frage (also das es sich nicht jeder leisten kann) spricht denn gegen Designerbabys? Warum darf man nicht einzelne Sachen ausschließen? Noch ist die Humangenetik ja in den Kinderschuhen. Noch können nur sehr simple Sachen entdeckt werden. Aber -neben der NOCH technischen Unmöglichkeit- was spricht dagegen?

    Warum müssen Menschen Heuschnupfen haben? Warum müssen Menschen kurzsichtig sein? Wozu das alles? Und noch weiter: Warum sollen nicht die paare Jungs kriegen, die Jungs wollen und die Mädchen kriegen, die Mädchen wollen. Man müsste natürlich eine Sperre einrichten wenn die Geburtsstatistik Schwellenwerte übertritt.

     

    Natürlich unter der Prämisse das man eine Zygote nicht als Mensch ansieht?

     

    PS: Spezifisches Abtreiben von Behinderungen ist ja heute schon eine Vorstufe von Designerbabys?

  • S
    Schawn

    Grundsätzlich ist das Urteil des Bundesgerichtshofes auch zu begrüssen, weil es die Anwendung der Präimplantationsdiagnostik deutlich einschränkt. Ein allgemeines Screening von Embryonen ohne konkreten Verdacht auf eine genetisch bedingte Krankheit wird damit ausgeschlossen, ebenso die Auswahl von Embryonen als Spender von Knochenmark für ein schwerkrankes Geschwisterkind. Risiko Familien bekommen die Chance gesunde Kinder zur Welt zu bringen. Also, wo ist das Problem!? Und jetzt nicht mit dem Argument kommen, dass Leben mit dem Verschmelzen von Samen und Eizelle beginnt. Dr. Sperling, Direktor des Instituts der Humangenetik an der Berliner Charité sieht das ähnlich. Hier der Beitrag: http://bit.ly/dzAZRx

  • S
    Silentjay

    Jede Behinderung ist Folge einer monogenetischen Erbkrankheit?

    Wann fängt Leben an?

    Muss man vor einer Keimzelle den selben Respekt haben, wie vor einem Menschen?

    Muss man jetzt Gesetze machen für nicht kalkulierbare Zukunftsszenarien?

  • WI
    Warum immer die Drohung Designerbabys?

    Das Urteil wird Menschen helfen, die ohne ärztliche Hilfe kein Kind zeugen können. Und es passt einfach nicht zusammen, dass man im selben Land lebensfähige Föten mit Down-Syndrom abtreiben darf, aber keine Eizelle verwerfen, die sich vier Mal geteilt hat und schwer genetisch geschädigt ist.

     

    Sicher garantiert eine PID kein gesundes Kind. Aber so zu tun, dass PID gleich Menschenzucht und Lebensborn ist, geht an der Realität und den Möglichkeiten der assistierten Befruchtung vorbei. Die Schwangerschaftsraten bei IVF und ICSI liegen hierzulande bei 25%. Erkenntnisse aus anderen Ländern zeigen, dass die Schwangerschaftsrate nach einer PID sogar sinkt.

     

    Die Medizin ist also nicht allmächtig. Insofern haut diese Angstmache von Designerbabys nicht hin.

  • C
    Christian

    Erschreckend, wie auch in linken Kreisen eine Argumentation vorangetrieben wird, die ohne das christliche Dogma von der Menschwerdung im Moment der Befruchtung gar nicht denkbar wäre. Eine befruchtete Eizelle ist kein Mensch, sie ist nur Potential. Wenn man nur nach einem Merkmal, nämlich der Krankheit selektiert, dann verändert man an diesem Potential rein gar nichts. Sämtliche anderen Erbanlagen, die den Menschen ausmachen werden, sind noch unbestimmt und ihr Austausch durch ebenso unbestimmte ist daher nicht die „Vernichtung“ eines Menschen. Es ist ja nicht so, dass bei der PID und meist auch nicht bei einer gezielten Abtreibung die Anzahl der geborenen Kinder verändert wird. Daher ist es eben auch nicht so, dass einem Kind das Recht auf Leben verweigert wird, es werden nur Eizellen selektiert; nicht weniger, aber auch nicht mehr.

  • P
    Perkeo

    Ohne jeden Zweifel ist es wichtig, die Inklusion von Behinderten in der Gesellschaft voranzutreiben. Aber Reimanns Behauptung "Die Entscheidung des BGH ... geht genau in die umgekehrte Richtung: Sie gestattet die Auslöschung von Behinderten." ist - Entschuldigung - purer Unsinn.

     

    Embryonen sind keine fertigen Menschen, geausowenig wie der Kirschkern ein Baum ist. Und wenn Embryonen nach der katholischen Lehre "werdendes Leben" sind, genauso schutzwürdig wie geborenes Leben? Kann Reimann dann die "Auslöschung" all der Embryonen gutheißen, die nicht eingepflanzt wurden, mit oder ohne schweren genetischen Schaden?

  • H
    HarHar

    Ich glaub da wurde irgendwie Pro und Contra vertauscht... oder die neue Rechtschreibreform ging weiter als ich es erfasst habe...

  • S
    Sandra

    Gattaca wir kommen...!

  • EA
    Eser A.

    "Vernichtung lebensunwerten Lebens" wurde sowas früher genannt. Wir erheben uns heute moralisch über die Geschichte des 2. Weltkrieges und Hitler und wir merken nicht, dass wir schleichend, sodass es keiner bemerkt, deren Methoden längst übernommen haben.