■ Press-Schlag: Hans Kindermann, komm wieder!
Fast dreißig Jahre lang hatte Hans Kindermann, dessen inquisitorische Tätigkeit mit dem Begriff „Vorsitzender des DFB-Kontrollausschusses“ völlig unzureichend beschrieben ist, die Bundesliga fest im Griff. Unentwegt befand sich der Sherlock Holmes des grünen Rasens auf den Spuren der kurzhosigen Verbrecher, ermittelte im unübersichtlichen Gangland der Stadien, kämpfte sich durch den Flutlichtdschungel unserer Städte, deckte „kriminelle“ Regelverstöße unnachsichtig auf und verfolgte jede Schurkerei mit der ganzen Strenge und Gründlichkeit, zu der ein deutscher Staatsanwalt fähig ist. Seine Undercoveragenten lauerten mit Vorliebe im Nacken der Trainer, jedes falsche Wort, jeder falsche Schritt schleuderte den Übeltäter mitleidlos in die Mühlen Kindermannschen Gesetzesverständnisses. Am Samstag hat das personifizierte Gesetzbuch des deutschen Fußballs die verantwortungsvolle Aufgabe, „dafür zu sorgen, den Regeln im Rahmen der erlassenen Gesetze zu ihrem Recht zu verhelfen“, in andere Hände gelegt und ist siebzigjährig in den Ruhestand getreten.
Bereits am ersten Spieltag nach Kindermann war ein eklatanter Sittenverfall zu konstatieren. Leute, die jahrelang vor Ehrfurcht gezittert hatten, riskierten plötzlich große Worte. Kaiserslauterns Coach Rainer Zobel hämte ungehemmt gegen den schwarzgewandeten Herrn Löwer, weil der seine Betzenberg-Treter zur Raison gebracht und den unkontrolliert in der Weltgeschichte herumsäbelnden Martin Wagner völlig zu Recht in die Kabine geschickt hatte.
Doch vor allem Franz Beckenbauer riß das kaiserliche Maul plötzlich auf wie lange nicht mehr. Ganz kleinlaut war er einst geworden, nachdem Kindermann gegen ihn ermittelt hatte, weil er den italienischen Referee Luigi Agnolin nach einem verlorenen Länderspiel aufs Gröblichste beleidigt hatte. Mit samtener Zunge pflegte er fortan auf Fragen nach der Leistung des jeweiligen Schiedsrichters zu antworten. Wundersame Läuterung? Pustekuchen! Er wartete bloß auf Kindermanns Abgang. Als sei ein Staudamm geborsten, brach es nach der völlig verdienten Niederlage gegen Werder Bremen plötzlich heraus aus dem Vizepräsidenten der Münchner Bayern. Wie könne man solch einen Mann wie Schiedsrichter Dellwing bloß ins heilige Olympiastadion schicken, donnerte es mit majestätischem Unverstand, es gäbe schließlich genug Jugendspiele, die „so einer“ pfeifen könne. Nun war der möglicherweise entscheidende Handelfmeter, den Dellwing gegen Labbadia verhängte, in der Tat fragwürdig, aber eine derartig heftige Tirade rechtfertigte er mitnichten.
Der Gipfel der Perfidität ist es jedoch, ausgerechnet den Kleinsten schlechte Schiedsrichter an den Hals zu wünschen. Ein klarer Fall für Hans Kindermann. Matti
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