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■ Press-SchlagEin Match wie jedes andere – nur anders

Das Tennisturnier von Mailand ist kein sonderlich bedeutendes und wäre wohl im Vorfeld der Stuttgarter Veranstaltung unbeachtet an der Öffentlichkeit vorübergerauscht, hätte es der Zufall nicht gewollt, daß sich im Viertelfinale zwei hierzulande besonders intensiv beäugte Exemplare aus dem Tenniszirkus trafen. „Der Spieler Stich“ (Becker) hatte gegen „Boris“ (Stich) anzutreten.

Auf der einen Seite der Liebling der Massen, der „Serve and Volley“-Philosoph aus Monaco, berstend vor Emotion, tiefgründiger Weisheit und Unlust auf den Davis Cup, auf der anderen das ewige häßliche Entlein des deutschen Tennis, unverstanden, ungeliebt und stocksauer. Auf „Boris“. Wegen des Davis Cups, den dieser partout nicht spielen will, weil ihm – endlich – der Nationalismus auf den Geist geht und weil er wieder die Nummer eins werden will und weil er seine Kräfte einteilen will und weil er, nun ja, eben einfach nicht will. Und Stich, der so gern will, muß in die Röhre gucken.

Boris Becker gegen Michael Stich, ein Spiel wie jedes andere? „Jaaa“, beteuern beide unisono, „neeiiin“, brüllt entrüstet der Rest der Welt. „Ich war nun mal der erste Wimbledonsieger, der erste an Nummer eins, der erste irgendwas. Und jeder andere nach mir ist zweiter“, beschrieb Becker, der sich zur Zeit das optische Erscheinungsbild eines leicht vergreisten Reinhard Mey zugelegt hat, kürzlich die Rangordnung im deutschen Tennis. Mailand bestätigte ihn eindrucksvoll.

Schon in der ersten Runde war er bei den Australian Open kläglich ausgeschieden, Stich hatte dagegen glanzvoll das Halbfinale von Melbourne erreicht. Dennoch waren 64.000 von 70.000 befragten deutsche Fernsehkonsumenten der festen Überzeugung, daß Becker das Viertelfinale in Mailand gewinnen werde.

Bei so viel öffentlichem Gegenwind hatte Stich keine Chance. Sein Aufschlag, in Australien noch mit 210 Stundenkilometern als Rekord gemessen, erreichte gerade mal 185 km/h, was etwa so ist, als würde Carl Lewis die 100 Meter plötzlich in 12,0 Sekunden laufen. Becker konnte die Returns plazieren, wie er wollte, spielte konzentriert und bissig wie zuletzt nur beim ATP-Masters in Frankfurt und gewann leicht und locker 6:2, 6:2.

„Ein Genuß, wie ich die Bälle getroffen habe“, resümierte der Spieler Boris, der durch einen Sieg über den Australier Wally Masur einen Tag später das Finale gegen den Spanier Sergi Bruguera erreichte (nach Redaktionsschluß). Am Schluß stand ein kühler, knapper Händedruck. Becker: „Er hat mir gratuliert, und ich habe mich bedankt. Das war alles.“ Der Spieler Stich indes blieb unbeirrt: „Ein Spiel wie jedes andere.“ Nur verloren halt. Gegen „Boris“. Das war alles. Matti

Memphis, Viertelfinale: Todd Martin (USA) - Andre Agassi (USA) 6:1, 7:6 (7:4); Halbfinale: Jim Courier (USA) - Amos Mansdorf (Israel) 7:6 (7:3), 2:6, 6:4; Todd Martin - Michael Chang (beide USA) 7:6 (7:4), 6:4

Osaka, Halbfinale: Jana Novotna (Tschechische Republik) - Pascale Paradis-Mangon (Frankreich) 3:6, 7:6 (7:1), 6:2; Kimiko Date (Japan) - Laura Gildemeister (Peru) 6:1, 6:7 (9:11), 6:2

Chicago, Halbfinale: Monica Seles (Jugoslawien) - Mary Joe Fernandez (USA) 6:3, 6:0; Martina Navratilova (USA) - Katerina Malejewa (Bulgarien) 6:0, 4:6, 6:1

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