■ Press-Schlag: „Ost, Ost, Ost!“
Berlin (taz) – Eigentlich verstanden die Eisbären- Fans die Welt und ihre Mannschaft nicht mehr, denn bis zuletzt hatte man es in der Bundesliga immer wieder verstanden, selbst den aussichtsreichsten Vorsprung in eine tief deprimierende, aber mit Stil getragene Niederlage („Macht nichts, es gibt Schlimmeres: beim Magistrat die Abteilung Inneres!“) zu verwandeln.
Nun aber, wo es drauf ankam, taten die Ostberliner in ihrer Abstiegsrunde gegen Schwenningen etwas völlig Ungewohntes: sie siegten. Immer. In der überfüllten Eishalle wähnte sich da mancher Sichtbehinderte zu Beginn der Play-offs noch beim falschen Spiel: „Guck doch mal nach“, bat man die in der ersten Reihe Stehenden, „ob das wirklich unsere sind, die da auf dem Eis stehen!“ Sie waren es, und so konnte man nach drei Siegen darangehen, den Klassenerhalt zu feiern.
Während man schon im ersten Drittel damit begann, die hereingeschmuggelten Sektflaschen probezuschütteln, erzielten die Schwenninger den Führungstreffer. Die Eisbären-Supporter wurden tückisch, denn: „Party versauen gilt nicht!“ Schließlich hatte man sich in der Nacht extra hingesetzt und neue Lieder getextet, selbst Brecht wurde nicht geschont („Ost, Ost, Ost, der EHC Dynamo marschiert!“, „Reih dich ein in die EHC Dynamo Front, weil du auch ein Ostler bist!“) und dann das? „Wir sind die Fans vom Getränkekombinat an der Spree – EHC!“ – und die Eisbären schossen den Ausgleich.
Draußen, an den Bierbuden, standen derweil die ohne Karte. Aber das Gelärme der Massen dringt bis hierher und man ist durchaus geübt im Jubel-Interpretieren. „Daneben!“ zuckt man resigniert mit den Schultern, wenn der „Ja!“-Schrei von drinnen urplötzlich zu einem dumpfen „Oh!“ schrumpft, oder „Tor!“ brüllen sie, wenn das Geräusch von drinnen zu einem glücksseligen Crescendo anschwillt, und fallen dann in den Triumphgesang ein.
Die nächste erstklassige Spielzeit war geschafft. Alters- und geschlechtsübergreifend wurde das Eis gestürmt, schüttelte man ergriffen den Herren Kufenstars die Hände und tanzte Polonaise. Und nun setzte es über den Hallenlautsprecher Dankesreden der Managements an die „treuen Fans, ohne die...“ usw., und die waren bitter nötig. Denn angesichts der Abstiegsrunde hatte man die Dauerkarten für ungültig erklärt und den Eintritt um mindestens fünf Mark erhöht.
Die eigens herangekarrten Polizeikräfte standen gelangweilt herum, denn schließlich hatten die Fans Wichtigeres zu tun, als sich mit ihnen zu beschäftigen. In Kneipen feierte man weiter, und dabei offenbarte mancher seine persönlichen Prioritäten: „Eigentlich fand ich's in der zweiten Liga viel schöner, aber in der ersten können wir wenigstens gegen die Preußen spielen!“ Elke Wittich
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