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■ Press-Schlag„Nie mehr 3. Liga!“

Jürgen Pommerenke wirkte richtig glücklich, als er nach dem Pokalspiel gegen Bayer Leverkusen neben dem wie immer höchst aufgeräumten Gäste- Trainer Dragoslaw Stepanović im Presseraum saß und davon schwärmte, was für ein großartiges Gefühl es doch gewesen sei, wieder einmal 25.000 Zuschauer im Magdeburger Ernst- Grube-Stadion zu sehen. Die Erinnerung an weit glorreichere Zeiten seines Klubs stand dem Trainer des FC Magdeburg deutlich ins Gesicht geschrieben. Damals, als man, bevor der BFC Dynamo seine endlose Regentschaft antrat, mehrfach den Meistertitel der DDR holte, 1974 gegen den AC Mailand sogar Europacupgewinner bei den Pokalsiegern wurde und Teams wie Bayern München, Juventus Turin, Arsenal London oder den FC Barcelona an der Elbe empfing. Mit Wolfgang Steinbach bildete Pommerenke in jenen Tagen eines der kleinsten, aber wirkungsvollsten Mittelfelder des europäischen Fußballs, während vorne Streich, Hoffmann und Sparwasser gegnerische Torhüter erschreckten und hinten bewährte Haudegen wie Zapf und Seguin dasselbe mit den gegnerischen Angreifern versuchten.

Als 1983 ein gewisser Bernd Schuster an der Seite des noch gewisseren Diego Maradona in Magdeburg gastierte, klappte die Sache nicht so gut. Zuerst verzauberte Maradona vor dem Spiel das Publikum mit einem erlesenen Sortiment aus seiner Trickkiste, dann schlug er auch die Magdeburger Spieler in seinen Bann und schoß drei Tore zum 5:1-Sieg der Katalanen. Es war der letzte große Auftritt der Magdeburger, bis zum letzten Freitag, als erneut Bernd Schuster im Ernst-Grube-Stadion aufkreuzte. Zehn Jahre älter, ein wenig gesetzter, das Blondhaar etwas gestutzter, aber mit dem gleichen Resultat: 1:5.

Keiner der großen DDR- Klubs fiel so tief wie der FC Magdeburg. Trotz günstiger Voraussetzungen – der Verein verfügte über einen vielversprechenden Kader und fand mit dem Erfinder der Trikotwerbung, Günther Mast, schnell einen zahlungskräftigen Sponsor – wurde nach der Wende der Anschluß verpaßt. Wichtige Spieler wie Steinbach wanderten gen Westen ab, und der ruhmreiche FC Magdeburg sackte, anstatt den erträumten Aufstieg in die Bundesliga zu schaffen, schnurstracks in die Amateurliga ab.

Entsprechend bescheiden sind die Fans geworden. Keiner kam beim Spiel gegen den Pokalverteidiger auf die Idee, das sonst allgegenwärtige „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“ anzustimmen, man beschränkte sich auf halbwegs realistische Ziele: „Nie mehr dritte Liga“. Schuster wurde in Erinnerung an die zehn Jahre zurückliegende Lehrstunde mit einem Pfeifkonzert empfangen, Andreas Thom bekam in alter Verbundenheit „Stasi raus“- Sprechchöre zu hören, ansonsten wurden die tapfer kämpfenden Amateure angefeuert, daß ihnen die Ohren rauschten.

Zu holen war an diesem Abend nichts für die Gastgeber, auch wenn in der 47. Minute Hoffnung aufkeimte, als Verteidiger Grempler mit einem bildschönen Freistoßtor den Anschluß zum 1:2 schaffte. Zwar hatte Schuster mit dem Litauer Baltuschnikas einen aufopferungsvollen Manndecker auf den Füßen stehen, und Thom hielt sich vornehm zurück, aber ein Sergio reichte, um den Magdeburgern den Pokal-Garaus zu machen. Der Brasilianer tänzelte wie einst Maradona durch die Grube-Arena, schoß zwei Tore und verdiente sich ein Sonderlob seines Trainers: „Sergios bestes Spiel bisher.“

Mit der Pokalsensation war es nichts, dafür verzichteten die Leverkusener großzügig auf ihren Anteil an den Einnahmen, um die Renovierung des maroden und teilweise gesperrten Stadions zu unterstützen. Nach Abschluß der Arbeiten würde es wieder 32.000 Zuschauer fassen, aber es sind keine großen seherischen Fähigkeiten vonnöten, um zu prophezeien, daß es wohl mindestens weitere zehn Jahre dauern dürfte, bis das Ernst-Grube-Stadion mal wieder ausverkauft sein wird. Jürgen Pommerenke jedenfalls wäre froh, wenn seine Mannschaft, wenn schon nicht gegen den FC Barcelona, wenigstens mal wieder gegen Carl Zeiss Jena oder Hansa Rostock spielen könnte. Matti Lieske

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