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■ Press-SchlagBärchendämmerung

Am 31.12. wird sie endgültig zu Grabe getragen, die Berliner Olympia GmbH; Zeit für ein vorläufiges Fazit ihres Strebens und Wirkens. Dieses kann nur lauten: Wir haben nochmal Glück gehabt! Wäre die fröhliche Crew des Axel Nawrocki beispielsweise mit der Überwachung eines Atomkraftwerks betraut worden, im entsprechenden Landstrich würde heute kein Hahn mehr krähen. Hätte man ihr die Erstellung des neuen Kursbuches der Bundesbahn übertragen, würden langsam die Züge knapp werden. Wäre ihr die Aufgabe zuteil geworden, das Postwesen zu reorganisieren, stünden mittlerweile private Kurierdienste in voller Blüte. Und hätte jemand die Schnapsidee gehabt, ihr die Modernisierung des Telefonsystems zur Aufgabe zu machen, würden sich die Menschen heute wieder mehr besuchen. Erfreulicherweise war die saubere Organisation aber nur dafür zuständig, im Zuge einer ohnehin unsinnigen Olympiabewerbung unter gütiger Mithilfe etlicher ebenso verblendeter wie naiver Politiker jede Menge Steuergelder in den Sand zu setzen, und so dürfen wir uns weiterhin bloß mit den üblichen Unzulänglichkeiten oben erwähnter Systeme herumärgern.

Noch beeindruckender als die phänomenale Begabung der Olympiabewerber, so ziemlich alles zu unterlassen, was ihrem Ziele förderlich gewesen wäre, und alles zu tun, was sein Erreichen behinderte, ist der eklatante Mangel an Selbsterkenntnis. Nawrocki ließ zum Abschied wissen, daß während seiner Amtszeit keine Schnitzer gemacht worden seien, die das Negativ-Ergebnis bewirkt haben könnten. Das Debakel läge halt einfach an der Stellung Deutschlands in der Welt. Absolution erteilt.

Auch die Investition von hundert Millionen Mark mehr hätte kein anderes Ergebnis gebracht, lautet die späte Selbsterkenntnis Nawrockis, was zum einen die Auffassung der Olympiagegner bestätigt, die von vornherein jede Mark als verloren betrachtet hatten, zum anderen das Credo der Olympia GmbH belegt, daß man die Spiele entweder kaufen oder gar nicht kriegen könne. Kein Wunder, daß unter diesen Umständen niemand auf die Idee kam, ein Umweltkonzept wie in Sydney vorzulegen, die zahlreichen deutschen Spitzenfunktionäre in internationalen Sportverbänden einzubeziehen, das Hilfsangebot von Axel Meyer- Wölden, der die Wirtschaft mobilisieren wollte, zu nutzen oder die deutschen Sportfunktionäre stärker einzubinden. Manfred von Richthofen zum Beispiel, den Berliner Vizepräsidenten des Deutschen Sportbundes (DSB), der in Monte Carlo hinten sitzen mußte, weil vorn alles von der Olympia GmbH besetzt war, und seitdem mehr oder weniger still vor sich hinschäumt. „Herr von Richthofen“, beschied Nawrocki brüsk, habe „phänomenale Wenig-Kenntnis von Dingen des IOC. Er spricht doch kaum Englisch und versteht nichts von den Zusammenhängen.“

Richthofen hingegen bemängelt, daß der GmbH-Chef, dessen hochdotierter Vertrag noch bis zum 31.März 1994 läuft, dem Aufsichtsrat immer noch keine Ursachen-Analyse vorgelegt habe. Nur zweieinhalb Seiten lägen bisher vor, dafür aber eine 400seitige Dokumentation „mit kilometerlangen Anhängen über alle Aktivitäten“. Am meisten bringt Richthofen jedoch auf die Palme, daß „der unverschämte Nawrocki“ nun auch noch so tue, „als habe er das Bärchen erfunden“. Jenes schlichte Strichgesicht aus der Ära des Nawrocki-Vorläufers Grüttke, das anfangs so herb kritisiert worden war und sich dann als großer Verkaufsrenner erwiesen hatte, wenn auch hauptsächlich am Tag nach dem Scheitern. Leichenfleddern macht Freude.

Bärchen hin, Bärchen her, Nawrockis positive Einstellung zur eigenen Person ist jedenfalls ungebrochen. „Es war so toll, für einige Monate Teil der olympischen Familie zu sein. Ich würde den Job immer wieder machen.“ Ein Wunsch, den jeder Olympiagegner für den erneuten Ernstfall nur begrüßen kann. Erstmal will Nawrocki aber mit dem Sport nichts mehr zu tun haben, denn: „Es gibt im deutschen Sport keine Stelle, die meinen Gehaltsvorstellungen entspricht.“ Aber vielleicht läßt sich ja sonst was Nützliches finden: den Chefsessel der Olympia 2000 Marketing GmbH etwa, die weiterbestehen und ab sofort Hauptstadtmarketing betreiben will. Wenn dort mit den Mitteln der Olympiabewerbung gearbeitet wird, dürfte eher Nowosibirsk deutsche Hauptstadt werden als Berlin. Oder gleich die IOC- Präsidentschaft. Dann hat sich das leidige Thema Olympia alsbald von selbst erledigt. Matti Lieske

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