■ Press-Schlag: Schalke verwurstet
Äußerst zufrieden war er, der Schalker Verwaltungsratsvorsitzende Jürgen Möllemann, als er am späten Sonntag abend beim Pils saß. Die Mitgliederversammlung, die er mit gewohnter Nonchalance und Arroganz geleitet hatte, war „prima und ruhig gelaufen“, und aus den „entsetzlich teuren kurzfristigen Verbindlichkeiten“ des Schuldenklubs könnten jetzt „lauter Langläufer“ werden. Das hat seinen Grund: Wegen des von ihm aufgebauten Präsidentschaftskandidaten war extra (nach wilder Debatte und juristisch umstritten) die Satzung geändert worden (ansonsten: zu kurze Mitgliedschaft), und schließlich war er auch gekürt worden: Bernd Tönnies (41), Fleischfabrikant aus Rheda-Wiedenbrück in Ostwestfalen, Jahresumsatz zwei Milliarden Märker. Der neue Retter!
Die Versammlung der über 3.000 (von 16.000 Mitgliedern) hatte wieder einmal höchsten Unterhaltungswert. Realsatire pur zur Karnevalszeit. Tohuwabohu trotz strengen Alkoholverbots. Mißliebige Redner wurden mundtot gegrölt, „juristische Spitzfinder“ beklagt, und Möllemann quatschte die Vereinsmitglieder mit „Abänderungsanträgen zum Antrag, der beantragt...“ ins Delirium. Um 21.36 Uhr aber war blau- weißer Rauch aufgestiegen: Habemus präsidentam. Und Möllemann und sein Mündel Tönnies hatten – 21.37 Uhr – nach alter Schalker Sitte lauthals das Vereinslied angestimmt: „Blau und Weiß – Wie lieb ich Dich!“ Und es wurde mit jeder Strophe dissonanter und textlich weniger deckungsgleich.
Bernd Tönnies: der vorgebliche Millionenmann („Wenn ich Montag gewählt werde, sind Dienstag alle Probleme gelöst“), „ein Arbeiterkind wie ich“ (Ex-Präses Günter Siebert), „der Wurstmogul“ (Reviersport). Vor allem aber die personifizierte Große Koalition des Klüngels: Zu Hause ist er SPD-Bezirkspolitiker. Mit Peter Paziorek hatte er einen CDU-Bundestagsabgeordneten als Interimsstrohmann mitgebracht (falls die Lex Tönnies abgeschmettert worden wäre, hätte Paziorek die Präsidentschaft provisorisch bis Ende 1994 übernommen). Und zur Abrundung ist Tönnies FDP- Großspender.
In den Dunstkreis der FDP war er durch Ziehvater Möllemann geraten. In Kontakt kam man 1990 – Möllemann war noch Wirtschaftsminister –, als sich Tönnies über die Treuhand riesige Wurstkombinate in der verblichenen DDR einverleibte. Bald darauf exportierte Tönnies seine Fleischklumpen und Leberwürste containerweise nach Leningrad; Möllemann hievte ihn in den damaligen deutsch-sowjetischen Wirtschaftsausschuß. Im Flugzeug Richtung Ostmärkte, erinnert sich Möllemann, habe Tönnies auf die mitanwesenden Wolf von Amerongen und Berthold Beitz erst einen zwiespältigen Eindruck gemacht, schließlich sähe „der Tönnies nicht eben so, sagen wir mal, von-Amerongen- mäßig aus“. Aber die Schweinemilliarden waren bessere Argumente als das bescheidene Äußere. Schließlich, als Schalkes Krise kulminierte, sagte Möllemann: Geh Du voran! Und der Günstling ging.
Vorgänger Günter Eichberg, „der Sonnengott“ mit den Krampfaderkliniken, war das vollmundige Großmaul und sagte mit vielen Worten wenig. Tönnies, mit dem Charisma zwischen Gebrauchtwagenhändler und Barbesitzer, spricht mit vollem Mund (Pressekonferenz: wurstbrotmampfend) und sagt mit wenigen Worten fast gar nichts. Immerhin weiß er: „Es geht um die Wurst.“ Oder er tönt kanzleresk: „Heute ist der Tag der Wende.“ Und großspurig: „Mit den Banken werd' ich jetzt Tacheles reden.“ Dabei steht diese Aufgabe dem Hintergrundherrscher Möllemann zu. Als Wirtschaftsminister weiß er, wie man Milliarden tausendfach hin und herschichtet. Da sind 15 oder 20 Milliönchen Schalke-Miese nix: „Wenn der Möllemann“, sagte einer, „bei der Kreissparkasse Wiedenbrück-West anruft, hat der Filialleiter doch vor Ehrfurcht schon den Blankoscheck unterschrieben.“ Vergleichen wir es so: Für Möllemann ist Schalke etwa so, als wenn unsereins über die Nettokreditaufnahme für die Investition einer Zehnerkarte im Hallenbad nachdenkt. Und jetzt ist eben einer da, der mit einem Zwanzigmarkschein aus der Patsche hilft – dank Koteletts, Blutwurst, Schwartenmagen.
Immerhin einem Viertel der Mitglieder war es nicht Wurst, was aus Schalke wird. Sie enthielten sich der Stimme oder votierten für die einzige Gegenkandidatin Evelin Fricke aus der Fanblock-Ecke. Glückauf! Bernd Müllender
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