Press-Schlag: Löwe oder Strauß?
■ 1860 München verliert sein Heimspiel gegen den VfB Stuttgart mit 0:2
Volker Finke und Karl-Heinz Wildmoser haben in etwa so viel gemein wie ein Stahlkocher im Saarland und ein Punk in Berlin. Eigentlich gar nichts, aber beide verbindet das fatale Gefühl der Benachteiligung, der Zurücksetzung qua Herkunft. Beredt machte Freiburgs feinsinniger Trainer vergangene Saison darauf aufmerksam, daß Neulinge für gewöhnlich zu leiden haben unter der Sympathie der Schiedsrichter für die etablierten Clubs. Im Zweifelsfall, so Finke, entscheiden die schwarzen Männer für die Großkopferten. Auch der krachlederne Präsident des TSV 1860 empfindet die Zweitliga-Vergangenheit als Ballast. „Der Schiri war erst unparteiisch, als wir aussichtslos im Rückstand lagen“, polterte Wildmoser nach der 0:2-Heimpleite gegen den VfB Stuttgart, „als Aufsteiger wird man benachteiligt. Heute haben zehn gegen zwölf gespielt.“
Zehn Münchner deshalb, weil der freischaffende Abwehrchef Schmidt, kürzlich aus Finkes Freiburg nach Bayern geholt, nach gut einer halben Stunde den roten Lappen sah infolge einer sogenannten Notbremse, verübt am blitzschnellen Buck. Dies war, so urteilte nicht nur Löwen-Trainer Lorant, „der Knackpunkt der Partie“. Nach dem Rausschmiß von Schmidt verlor der TSV 1860 seine Erstliga-Tauglichkeit. Die Stuttgarter, zunächst bieder wie schwäbische Häuslebauer, wurden übermächtig, erzielten durch den später verletzten Brasilianer Elber (Kopfball in der 51. Minute) und den kecken Joker Bobic (68.) zwei Treffer, die es ihnen erlaubten, den Rest der Spielzeit locker abzureißen wie ein Beamter die letzten Tage vor der Pension. Reglos saß Trainer Lorant auf seinem Stühlchen, hilflos waren seine Schützlinge, arbeitslos der Stuttgarter Schlußmann Immel. Der hätte sich zum Schafkopfen in die Stadionkneipe verziehen können.
Sechzig hat nun 0:4 Punkte, 0:6 Tore, einen gesperrten Libero und trübe Aussichten. Pessimisten sprechen schon vom Negativrekord der Berliner Tasmania, die in den sechziger Jahren mit lausigen acht Punkten hochkant aus der Liga flog. Wer hat an der Uhr gedreht, ist es wirklich schon so spät? Ist es so rasch, nach zwei Spielen schon, fünf vor zwölf für Sechzig, das gerade eben mit Pauken, Trompeten und Juchheissassa in die Bundesliga zurückgekehrt war?
Gelenkt wird dieser TSV 1860 von einem diktatorischen Duo, das unablässig Sekundärtugenden predigt wie Disziplin, Unterordnung, Pflichtbewußtsein und Arbeit, Arbeit, Arbeit. Präsident Karl-Heinz Wildmoser hat seinen sozialen Aufstieg vom einfachen Metzger zum Großgastronom nach eigenem Bekunden ausschließlich mit Maloche bewerkstelligt. Kritiker werfen dem Neureichen in gleichem Maße Rücksichtslosigkeit vor. Im Münchner Westend, so der Spiegel, lasse Hauseigentümer Wildmoser „schon mal ein sanierungsbedürftiges Haus verkommen, bis daß der letzte Mieter auszieht“. Zudem habe der CSU-Anhänger „in zweijähriger Ägide den ehemals volkstümlichen TSV 1860 in ein streng hierarchisches Fußballunternehmen verwandelt“. Derartige Angriffe kontert der rauhkehlige Präsident mit deftiger Landessprache. Der Spiegel- Journalist sei entweder „a chronischer Lügner“ oder ganz einfach „besoffen“. Des Schreiberlings Glück sei es, daß er ihm, Wildmoser, seither nicht begegnet sei. Vermutlich hätte er ihn mit einer Weißwurst-Kette erdrosselt.
Dagegen verbinde ihn, bekundet der Clubchef, mit seinem leitenden Angestellten Lorant eine echte „Männerfreundschaft“. Trainer Werner Lorant, ein alter Bundesliga-Haudegen mit über 300 Erstliga-Einsätzen, operiert mit einem simplen Erfolgsrezept: Er versucht seinen Kickern jenes satte Selbstbewußtsein einzuimpfen, das er selbst zur Schau trägt („Wer ist Möller?“). So schicken sich kampfeslustige bajuwarische Balltreter aus dem kleinen Münchner Stadtteil Giesing an, der Bundesliga-Übermacht tapfer Widerstand zu leisten – und haben Angst, daß ihnen das Stadiondach auf den Kopf fällt. Das kleine Grünwalder Stadion nämlich, eine echte Fußballarena, in der das Publikum die Löwen durch die Arena peitscht, ist arg sanierungsbedürftig. Doch Verein und Stadt sind derzeit nicht liquide genug, um die Hütte anständig herzurichten. So zieht Sechzig bei Spitzenspielen ins sterile Olympiastadion, die Heimstatt der ungeliebten Bayern. Gegen den VfB kamen dorthin 43.000 Zuschauer.
Das bringt Kohle in die Kasse, auf die Vereinsvormann Wildmoser sein gestrenges Auge wirft. Unsolides Wirtschaften, das in der Vergangenheit zu Sechzig gehörte wie das Oktoberfest zu München, komme nicht mehr in Frage, sagt der penible Präsident, der die Schulden stetig abgebaut hat in seiner Amtszeit. Deshalb hat er auch den verlockenden Plan verworfen, den Ex-Löwen Rudi „Tante Käthe“ Völler heimzuholen: „Unmöglich, zu teuer“. Sechzig begnügte sich mit Neuzugängen, die nur Fußballfans kennen, welche den Kicker so genau lesen wie andere Leute ihre Kontoauszüge: Knäbel von Saarbrücken, Stevic von Dresden, Wolf aus Nürnberg, Kutschera aus Uerdingen, Dowe aus Rostock, Schmidt aus Freiburg. Wildmoser geht bewußt das Risiko ein, schnell wieder abzusteigen mit dem billigen, aber biederen Personal.
Um das indes zu verhindern, muß nächsten Samstag die Uerdinger Grotenburg gestürmt und Beute gemacht werden. Schließlich ist es „zu früh, den Kopf in den Sand zu stecken“ (Mittelfeldspieler Jens Dowe). Recht so, nicht der Vogel Strauß prangt auf dem Vereinsemblem, sondern der Löwe, der kämpferische. Gerhard Fischer
VfB Stuttgart: Immel - Dubajic - Berthold, Foda - Buck, Strunz, Dunga, Poschner (64. Dinzey), Kögl - Elber, Bobic (66. Bobic)
Zuschauer: 43.000; Tore: 0:1 Elber (51.), 0:2 Bobic (68.); Rote Karte: Schmidt (39.) wegen Notbremse
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