Press-Schlag: Das Wohl der Wahl
■ Die Hoffnungen des deutschen Teams für die Volleyball-WM sind gestiegen
Von überallher reckten sich dem Bundestrainer Programmhefte, Poster, Bälle entgegen, schwungvoll schrieb Igor Prielozny mit dem schwarzen Filzer seinen Namen, bis alle Autogrammsammler bedient waren und weiterzogen zum nächsten großen Mann. Mit 3:2 hatten die deutschen Volleyballer gegen Japan gewonnen, der dritte Sieg gegen die grazilen Abwehrzauberer binnen vier Tagen. „Ich habe es doch immer gesagt“, sprach Prielozny, „wir werden noch kommen.“
Höchste Zeit: heute beginnt die WM in Athen, und vor den Japan-Spielen hatte die deutsche Auswahl kaum Hoffnungen genährt, den Knockout in der Vorrunde vermeiden zu können gegen Brasilien, die USA und Argentinien. Die Vorbereitungszeit: eine Tour der Leiden. In Wuppertal, Havanna, Seoul, Fehmarn, Bielefeld und Haarlem; gegen Holland, Kuba, Korea, Schweden, Frankreich, Rußland: Niederlagen, einkalkuliert manche, viele unerwartet, entmutigend alle. „Ich habe manchmal gedacht, wir können es nicht mehr“, sagt Mittelblocker Bogdan Jalowietzki, verzweifelt sind sie zwischendurch an ihren schlechten Leistungen. Dann hat es auch noch Krach gegeben, Angreifer Dirk Oldenburg ist Ende August vom Deutschland-Cup in Bielefeld abgereist, weil er nicht bereit war, die Reservistenrolle zu übernehmen. Einen Tag später packte Mittelblocker Oliver Heitmann seinen Krempel und flog gen USA, wo er studiert. Ihm fehle die Perspektive in diesem Team. Kurz, es sah so aus, als zerfalle die Volleyball-Nationalmannschaft; nur der Bundestrainer hat gesagt, daß „wir Probleme haben, aber auch Zeit, sie zu lösen“: mitten im Getöse ein gelassener Mann.
Haben die Siege gegen Japan ihn und seinen Optimismus bestätigt? Es spricht manches dafür. Zwar liegen die ganz großen Tage der Japaner zwei Dekaden zurück, in der aktuellen Weltrangliste werden sie aber immerhin an Position fünf geführt, sechs Plätze besser als die Deutschen. Bei denen ist anscheinend der Zusammenhalt gewachsen in langen Trainingswochen, keiner mehr da, der das Klima trübt. „Die Stimmung ist super, und das ist echt nicht gelogen“, sagt der wackere Kapitän Rene Hecht, 33, der auch schon anderes erlebt hat in der Karriere. Zugegeben, vielleicht könnte der eine oder andere mitreißende Typ das stille Ensemble beleben, es vielleicht aus gelegentlichen Kunstpausen reißen, aber was nützt alles Wehklagen: So einen haben sie nicht.
Dafür haben sie den Moerser Jalowietzki, der nach dem Spiel schnauft und schnauft und zwischendurch hervorstößt, „daß ich mich echt zerreißen würde für das Team“. Prielozny sagt, daß Jalowietzki, obwohl noch nicht lange in der Mannschaft, allmählich „zu einem wird, an dem sich die anderen hochziehen können“. Und es gibt wieder einen, der die Bälle brachial ins Gegnerfeld wuchtet: Robert Dellnitz. Im vergangenen Jahr haben sie den Mann aus Berlin zum drittbesten Angreifer des globusumspannenden Leistungsvergleichs Weltliga gekürt, danach hat Dellnitz sich verletzt und ist völlig außer Form geraten: Lädiert waren Körper und Seele.
Der psychologisch gewiefte Prielozny hat viel mit ihm geredet und ihm offenbar gerade rechtzeitig den Glauben an die eigenen Fähigkeiten eingeflüstert. Dellnitz ist wieder da, Zuspieler Michael Dornheim auch. Der hatte in diesem Jahr die Bälle nicht halb so kreativ verteilt wie im vorigen; die Stellerposition schien an den Dachauer Matthias Häberlein verloren. Nach den Spielen gegen Japan aber hat Prielozny gesagt, daß „ich noch nicht weiß, wer bei der WM stellt. Beide sind so gut“. Kein schlechtes Zeichen für einen Trainer, die Qual der Wahl zu haben. Holger Gertz
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