Press-Schlag: Das Lourdes der Löwen
■ Eishockey-Frankfurt rüstet zum Blitzbesuch bei Reichel in Calgary
Sachlichen Gegenargumenten, wie etwa „Habt ihr noch alle Tassen im Schrank“, sind diese Leute nicht völlig verschlossen, nein, sie antworten auch noch lächelnd „Wieso?“ und singen fröhlich: „Wir fahr'n nach Calgary, wir fahr'n nach Calgary.“ Nun, die einen fahren nach Zell am See, die anderen nach Calgary – warum auch nicht.
Aber dies ist keine normale Reisegruppe. Jene, die am 7. April auf dem Frankfurter Rhein-Main-Flughafen einchecken werden, sind Gläubige, Jünger, Angehörige einer Religionsgemeinschaft. Und sie wollen ihren „Messias“ besuchen. Einen außerordentlich „irdischen“ Messias, keiner, der Predigten hält. Sein Evangelium ist etwas anderes. Von Beruf zwar auch Handwerker, wie jener Zimmermann aus Nazareth, doch in der Ausführung möglicherweise wesentlich filigraner. Er praktiziert die Eishockeykunst. Sein Name: Robert Reichel. Sein 22 Spiele dauernder Gastauftritt beim DEL-Klub Frankfurt Lions hat den Tschechen aus der National Hockey League (NHL) bei den Fans zu einer lebenden Legende gemacht. Und jetzt fehlt er ihnen. Also werden sie ihn für drei Tage besuchen – mit 840 Leuten.
Mike Burke, der Hallen-Manager der Calgary Flames, kämpfte mit einem Kloß im Hals, als ihn der erste Anruf aus Frankfurt erreichte, aber er blieb höflich. Was sollte er auch einem Verrückten aus Deutschland antworten, der 800 Eintrittskarten für das Spiel Calgary Flames versus Los Angeles Kings ordert. Doch sein Gegenüber Stephan Szebrowski blieb hartnäckig: Nein, nein, das ginge schon in Ordnung, die drei Chartermaschinen wären auch schon bestellt und die vier Hotels und die 28 Busse. Und Mister Burke mußte feststellen: „This thing is bigger than the Rocky Mountains“, an deren Fuße Calgary liegt.
Langsam fing die Sache an, ihm Spaß zu machen. Hauptproblem: Wo sollte er 800 Eintrittskarten für eine Halle herkriegen, in der 97 Prozent der 20.000 gepolsterten Sitzplätze von Dauerkartenbesitzern belegt sind? Er fand sie im Gästekontingent der Los Angeles Kings, denen er die Absicht der crazy germans eindringlich schilderte.
Der Anführer dieser „Robert-Reichel-Memorial-Tour“ macht eigentlich einen ganz normalen Eindruck. Ein junger Mann von 24 Jahren, der bei jeder Schwiegermutter gut ankommt. Sie würde höchstens der Umstand etwas stutzig machen, daß er vor einem Eishockeyspiel der Frankfurt Lions sein Haupt freiwillig unter einen Löwenkopf steckt und damit auch noch übers Eis fährt. Aber wie gesagt, sonst ganz normal. Außer dieser fixen Idee: „Wir wollen den kanadischen Fans einfach mal zeigen, was wir in Frankfurt Stimmung nennen“, und dann fing er an zu planen. Die drei wichtigsten Vorgaben: Robert Reichel sehen, nicht mehr als tausend Mark bezahlen müssen und „etwas erleben, an das sich jeder sein Leben lang erinnert“.
Er verteilte ein paar Flugblätter in der Eissporthalle und nach drei Wochen hatten sich schon mehrere hundert Interessenten gemeldet. Die Völkerwanderung ist nicht mehr aufzuhalten und auch die Flames wollen sich nicht lumpen lassen. Während einer Inspektionsreise vor zehn Tagen haben die kanadischen Klubmanager versprochen, „für uns nach dem Spiel noch eine große Überraschung zu organisieren“. Eine Audienz bei Reichel, Gretzky und Co. womöglich! Die einen fahren nach Lourdes, die anderen nach Calgary. Matthias Kittmann
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