■ Press-Schlag: Brave Niederländer ärgern sich ganz toll
Beim Tennis-Davis-Cup zwischen Holland und Deutschland gab es „phantastisches Tennis zu sehen, es gab Champagner, es gab Lachs und auch viel Bier, aber Atmosphäre gab es nicht“. So wie die Amsterdamer Zeitung Trouw hadert nach dem 1:4 gegen Deutschland beinahe die ganze niederländische Sportwelt. Stanley Franker, Team-Coach der Niederländer, habe sich Jahre darum bemüht, mal so etwas wie Begeisterung bei den Holländern zu wecken, und nun das: 11.000 Zuschauer in Utrecht waren alles anderes als der angekündigte „Hexenkessel Prins van Oranjehal“. Sie hatten es nicht nur nicht vermocht, Becker und Stich aus dem Konzept zu bringen. Schlimmer noch, sie hatten gar geklatscht, wenn die Deutschen ihren niederländischen Gastgebern die Bälle um die Ohren hauten.
Vielleicht aber war ja wirklich nicht Richard Krajicek (23), der Weltranglistenneunte, der beide Einzel verloren hatte, „der Versager“, sondern das Publikum. „In Frankreich verwandeln die Fans eine Sporthalle in ein Irrenhaus. In Italien schmeißen sie mit Münzen, in Brasilien und in der Schweiz zerstören sie die ganze Konzentration mit rhythmischem Klatschen, die Deutschen haben Rasseln. Und die Niederländer? Die klatschen gerade mal ein bißchen weniger heftig als bei den Holländern, wenn den Deutschen was gelingt.“ Prima Fair play eigentlich, aber wer will prima Fair play? Trouw seufzte und seufzte: Nicht mal Hohn und Häme bei Doppelfehlern gab es. Woran lag es, daß die Holländer – nicht wie erwartet – ihre gesamten antideutschen Gefühle auf Becker & Stich abluden?
Vielleicht taugen beide einfach nicht als protodeutsche Buhmänner. Boris Becker etwa könnte mit seiner Barbara ein typisches niederländisches Paar abgeben. Wahrscheinlich aber haben die Oranje-Fans sich einfach strikt an das gehalten, was ihnen seit Wochen und Monaten quasi regierungsamtlich gepredigt wurde. Außenminister van Mierlo samt Kollege Kinkel hielten fast die gesamte Spielzeit auf der Tribüne Wacht, offensichtlich bereit, jeden antideutschen Reflex persönlich zu ersticken. „Die Deutschen sind auch normale Menschen“, so hatte mal vor Jahren eine Regierungskampagne gelautet – und wurde damals heftig abgelehnt. Heute aber denkt Christian aus Almelo kosmopolitisch: „So oft kommt es nicht vor, daß zwei Tennislegenden wie Becker und Stich hier in Holland spielen.“ Es gab auch nur ein Anti-Becker-Plakat – „Who the fuck is Becker?“ Die Organisatoren rissen es dem Mann aus der Hand.
Heute nun dämmert es dem niederländischen Tennisbund: „Das Publikum war doch echt lau. Wir waren viel zu brav“, sagt Ronald de Boer, Chef des niederländischen Tennisbundes. Aber: Es ist zu spät. Falk Madeja, Utrecht
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