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Press-SchlagOstalgie an der Ostsee

■ Hansa Rostock wieder erstklassig

In den Katakomben des Ostseestadions umarmten sich die Menschen; die Spieler von Hansa Rostock zogen mit einer Polonaise aus ihrer Umkleidekabine zu jener Stelle der Arena, in der sonst die örtliche Prominenz den Spielen beiwohnt. Sie riefen: „Nie mehr Zweite Liga“. Und: „Pagelsdorf“. Als sie schließlich wie römische Feldherren vor ihren Fans standen, weinten manche der Umstehenden sogar: Der FC Hansa Rostock hatte soeben mit einem 3:0 über Hannover 96 den Wiederaufstieg in das Oberhaus perfekt gemacht. „Was für ein Augenblick, was für ein Leben – wir können nur tanzen“, keuchte Slawomir Chalaskiewicz, ein Pole, der seit 1992 in Rostock spielt.

Was hat sich das Lebensgefühl doch verändert an der mecklenburgischen Ostsee, seitdem Peter-Michael Diestel, letzter Innenminister der DDR und erster Populist in Sachen Ostalgie, das Präsidentenamt im Verein übernommen hat. Vor vier Jahren noch zogen die Rostocker als letzter Oberligameister in die Bundesliga ein, hielten sich sogar tapfer an der Tabellenspitze die ersten Wochen – um jedoch am Ende wieder absteigen zu müssen.

Es hatte die Rostocker allerdings wenig gekümmert: Hansa, erst 1965 gegründet und damit immer mit dem Hautgout behaftet, eine typische Retortenmannschaft der DDR-Nomenklatura zu sein, hatte nur selten ein ausverkauftes Stadion – in der Stadt dominierte ein Gefühl des Mäkelns. Hansa hätte Mecklenburg nur hinter sich gebracht, wenn der Verein Europapokalsieger geworden wäre.

Denn Mecklenburg hatte andere Sorgen. Schließlich gehörte man in dem Landstrich zu den eifrigsten Bananengläubigen – der Glaube ans Ostische [jibt et dat wirklich, dat hört sich ja wie ne verdammte Neuschöpfung an, fragt sich die säzzerin] verfing unter Trainer Uwe Reinders nur rudimentär. Seit Diestel die „Hansa-Kogge“ (Lokalpresse) übernommen hat und dabei sowohl Westeinfluß stutzte wie allzu alerte Ostfunktionäre ins fünfte Glied rücken ließ, läßt er keinen Zweifel daran, daß er seine erfolgreiche Präsidentenarbeit als Sprungbrett zurück in die Politik nutzen will. So ward der Verein im städtischen Milieu ein echter Hoffnungsträger. Geschäfte zeigten blau-weiß dekorierte Schaufenster, in den Schulen wurde die Geschichte von Hansa Rostock dekliniert, in Sponsorenkreisen zeigte man sich wieder gewogen, dem Verein Geld zu überlassen, und die Puhdys singen: „FC Hansa, du bist so genial. FC Hansa, wir lieben dich total.“

Daß dabei der vormalige Präsident Gerd Kische mit einem Hinauswurf erster Klasse gen Berlin gejagt wurde, empfand man eher als Glücksfall: Allzusehr verkörperte er das Bild vom raffgierigen DDR-Günstling, der mit Ostmelancholie nur insoweit zu tun hatte, als mit ihr die besten Geschäfte zu machen waren.

Diestel war von diesem Verdacht frei: Der Durchgreifer und Antityp zu den „Pfaffen und Tierärzten, diese Eppelmänner“, wie der Spiegel ihn zitiert, wird geliebt von den Fans. Kein Wunder, daß er nach Spielschluß entspannt wie ein König mit Gefolgschaft die Honneurs im sektnassen Hemd entgegennahm und zwei Blumensträuße verteilte – einen an den Präsidenten von Hannover 96, den anderen, besonders gerne, an Frank Pagelsdorf, den Trainer von Hansa Rostock.

Und gerade der – dem man die Herkunft aus dem Westen verzeiht, weil er eigentlich auch bescheiden-ostisch wirkt – zeigte sich erschöpft, aber mit dem Lächeln eines Jungen auf dem Gesicht, dem das Unerreichbare geglückt war: mit der jüngsten Mannschaft des deutschen Profifußballs in die Bundesliga aufzusteigen. „Ich glaube es erst, wenn wir den ersten Bundesligaspieltag hinter uns haben“, sagt Pagelsdorf, der seine Gründe hat, an letzte, nichtsportliche Hemmnisse zu denken: Zweimal schaffte Union Berlin den Aufstieg in die Zweite Bundesliga, bekam jedoch keine Lizenz vom DFB.

Doch da hat Diestel vorgesorgt: Hansa Rostock ist sich soviel mäzenatischer Gunst im Rücken sicher wie der SC Freiburg vor zwei Jahren bei seinem Aufstieg. Und auch atmosphärisch gibt es Parallelen: Corporate identity und der Glaube daran, ein David zu sein, der es den Goliaths aus dem Westen zeigen will, gehören bei Hansa Rostock zum neuen Inventar. Ein Fantransparent deutet an, was der Osten von Rostock erwartet: „Hansa – die Märtyrer“. Arne Fohlin

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