Press-Schlag: Freiheit und Glück für Europas Fußballer
■ Europäischer Gerichtshof gegen Ablöse und Ausländerklauseln
„Ätsch“, sagt Alexander Zickler zum Präsidium von Bayern München, „euren Rehhagel könnt ihr euch in die Haare schmieren, ich gehe zum AC Mailand.“ Franz Beckenbauer schaut konsterniert, und Uli Hoeneß würde sich gern die Haare raufen, denn der Vertrag des bei der EM 1996 groß herausgekommenen Stürmers ist gerade ausgelaufen, und Bayern sieht keinen Pfennig für seinen wertvollsten Mann. Der hingegen kassiert fürderhin ein monströses Gehalt, und was ihm die Mailänder unterderhand zugeschoben haben, um ihn den Bajuwaren zu entlocken, kann nur vermutet werden. „Ätsch“, sagt aber auch Milan-Coach Capello zu Zickler, „du bist uns zwar sehr willkommen, aber leider haben wir gerade die komplette niederländische Nationalmannschaft verpflichtet, und solange die so schön harmoniert, wäre es nett, wenn du auf der Tribüne Platz nehmen würdest.“
So ungefähr stellen sich, nachdem der Europäische Gerichtshof das geltende Transfersystem und die Ausländerklauseln für rechtswidrig erklärt hat, Funktionäre die Zukunft im Fußball der Europäischen Union (EU) vor, zumindest wenn man den Verlautbarungen glauben darf. „Die Regeln über den Spielertransfer und die Beschränkung der Anzahl von Spielern aus der Gemeinschaft in den Spielen zwischen Vereinen verstoßen gegen den Römischen Vertrag“, heißt es in dem Urteil, das der Gerichtshof gestern in Luxemburg fällte und das auch Auswirkungen auf Sportarten wie Eishockey oder Tischtennis hat. Der Belgier Jean-Marc Bosman, der fünf Jahre lang gegen die entsprechenden Bestimmungen klagte, hat tatsächlich geschafft, was er einmal als „vergleichbar mit dem Fall der Berliner Mauer“ bezeichnete.
Seit gestern dürfen Trainer so viele EU-Ausländer einsetzen, wie sie wollen, was den meisten Coaches allerdings nicht viel nützt, da EU-Fußballer offenbar nicht besonders gut kicken können. Das Gros der Ausländer in der Bundesliga stammt nicht aus Staaten der Europäischen Union, die Trainer müssen also weiter luchsmäßig aufpassen, wen sie aufs Feld schicken. Winfried Schäfer lag daher mit seinem Bonmot, daß das Urteil sechs Wochen zu spät käme, denn sonst hätte er kürzlich, bei seinem Fauxpas gegen Leverkusen, ja vier Ausländer einwechseln können, glatt daneben. Kirjakow (Rußland), Knup (Schweiz), Dundee (Südafrika) und Bilic (Kroatien) dürfen weiterhin nicht gleichzeitig das KSC-Trikot tragen. Frohlocken kann mit seiner Sammlung von Schweden, Dänen und Niederländern allenfalls Mönchengladbachs Coach Bernd Krauss, dessen Chancen, einen Martin Dahlin nach Vertragsablauf zu halten, dafür nun ziemlich gering sein dürften.
Mit „Enttäuschung“ reagierte die FIFA auf das Urteil, wies aber darauf hin, daß der Spruch ja nur in 18 ihrer 193 Verbände Anwendung fände. Der DFB zeigte sich ebenfalls „enttäuscht“, UEFA-Präsident Lennart Johansson behauptete gar: „Die EU versucht den Vereinsfußball zu zerstören.“ Noch schwärzer sieht Fritz Scherer, Vizepräsident von Bayern München, der überzeugt ist, daß sich nach der Saison „80 Prozent der Profivereine auflösen“ müßten, und auch Uli Hoeneß menetekelt ein „Ausbluten“ der kleinen Vereine herbei. Die Richter mochten sich aber nicht den Argumenten der Fußballverbände beugen, die vor allem die Chancengleichheit ins Feld führten. Bisher hätten die Transfergelder die reichen Vereine schließlich auch nicht daran gehindert, sich die Dienste der besten Spieler zu sichern.
In der Tat ist die Sache längst nicht so dramatisch, wie es die heftigen Reaktionen vermuten lassen. Werden Profis aus Verträgen herausgekauft, können weiterhin Ablösesummen verlangt werden. Außerdem gelten die neuen Bestimmungen nur für Staatsangehörige von EU- Ländern, und nicht betroffen von dem Richterspruch sind – wegen fehlender Zuständigkeit des Gerichts – Transfers innerhalb der Länder. Nur bei Spielerwechseln von einem EU- Staat in einen anderen gilt das, was sich kluge bzw. klug beratene Fußballer wie Klinsmann oder Schuster schon längst in ihre Verträge schreiben ließen: Ablösefreiheit nach Vertragsende. Das wiederum trifft besonders reiche Klubs, deren Stars für das Ausland attraktiv sind, Bayern München etwa, wo sich Thomas Helmer, dessen Vertrag bald ausläuft, vermutlich schon die Hände reibt.
Revolutionär mit Schlips und Kragen: Jean-Marc Bosman Foto: Reuter
Die Profis, welche das alte Transfersystem verständlicherwesie nicht so segensreich fanden wie ihre Arbeitgeber, stehen dem Luxemburger Urteil eher positiv gegenüber. Jürgen Klinsmann („Was bei uns passiert, ist gegen das Gesetz“) wünschte Bosman Glück, und Jürgen Rollmann konstatiert „einen Gewinn an Recht für die Spieler“. Der Präsident der Spielervereinigung vdv glaubt nicht, wie VfB Stuttgarts Boß Mayer-Vorfelder, daß die Gehälter kräftig steigen werden, sondern eher, daß längerfristige Verträge geschlossen werden, wie es Werder Bremen klugerweise im Fall Basler (bis zum Jahre 2000) getan hat. Der gute Mario kann die Koffer also wieder auspacken. Matti Lieske
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen