Press-Schlag: Die starken Rücken chinesischer Bauern
■ Bei uns unbeachtet, fanden vor der Ski-WM Winterspiele in China statt
Tamer Alameddine ist derzeit ein vielbeschäftigter Mann. Am Dienstag wurde der libanesische Skiläufer bei der WM in der Sierra Nevada Letzter im Super-G, eine Woche zuvor war er noch in einer ganz anderen Weltgegend auf sehr merkwürdigem Schnee aktiv: bei den asiatischen Winterspielen in der Mandschurei.
Zwei Wochen vor Beginn dieser Veranstaltung waren Chinas ehrgeizige Träume, das eisige mandschurische Städtchen Yabuli (20.000 Einwohner) in ein internationales Skizentrum zu verwandeln, allerdings auf der Kippe zur Katastrophe gewesen. Seit November hatte es nicht mehr geschneit. Die Skipisten am „Helmberg“ bestanden aus nackter Erde und Fels. Die Funktionäre befürchteten, daß sie die Skiwettbewerbe bei den 3. Asiatischen Winterspielen, Schaufenster der aufblühenden chinesischen Ski-Industrie, absagen müßten.
Am Ende reagierten jedoch einige hundert Bauern aus der nach dem „Fluß des schwarzen Drachen“ benannten Provinz Heilongjiang auf den dringlichen Hilferuf im Radio. In pausenloser Arbeit schaufelten die Landleute in benachbarten Tälern und Wäldern Schnee in Plastiktüten und trugen ihn auf ihren Rücken zu den kahlen Hängen. Am Ende waren die Pisten mit Schnee bedeckt und die Rennen gerettet. Die lokalen Funktionäre, die zusammen mit ihren Geschäftspartnern aus Hongkong Millionen von Dollars ausgegeben hatten, um das Gebiet mit Gondel-Skiliften und einer olympiareifen 90-Meter-Schanze auszustatten, waren voll des Lobes für die starken Rücken der örtlichen Landbevölkerung. „Gott hat uns nicht geholfen“, sagte der Direktor des Skigebiets von Yabuli, Zou Anzheng, „aber die chinesischen Bauern taten es. Dies zeigt die Stärke des chinesischen sozialistischen Systems.“
Skiläuferinnen und -läufer aus 16 asiatischen Ländern, darunter ein Ölscheich aus Kuwait und ein starkes Langlauf-Kontingent aus Kirgistan, klagten zwar darüber, daß Steine und Holzstücke in dem handgelieferten Schnee ihre Ski beschädigten, staunten aber ansonsten über die Leistung der chinesischen Massen. „Dies konnte nur in China passieren“, sagte bewundernd Nassim Kaul, der Coach des zehnköpfigen libanesischen Teams: „Jedes andere Land hätte aufgegeben.“
Yabuli kann allerdings noch nicht mit Aspen oder Val d'Isère verwechselt werden. Zwischen Pinien und Birken 200 Kilometer südöstlich der Stadt Harbin gelegen, ist es das neueste von sechs Skizentren, die in der Mandschurei geschaffen wurden. Bisher gibt es nur 500 Zimmer für Ski-Gäste. Und es muß abgewartet werden, wie die internationale Szene auf den Après-Ski-Nudelimbiß reagieren wird, der im Ort eröffnet wurde.
Die lokalen Funktionäre, die verzweifelt versuchen, Touristen in die ökonomisch heruntergekommene Industrieregion in Chinas Norden zu locken, hoffen aber sogar, daß sie eine Chance bekommen, sich für die Olympischen Winterspiele 2006 zu bewerben. „Dies hier ist die Wiege des Skifahrens in China“, sagt Manager Zou.
Sportlich gesehen waren die asiatischen Winterspiele trotz einiger Erfolge ein zweischneidiges Schwert für China. Die Eishockeyfans zahlten den Schwarzhändlern Preise bis zu 200 Yuan (etwa 40 Mark), um in die neue Arena von Harbin zu gelangen, einem Teil des neuen Wintersportkomplexes der mandschurischen Stadt. Aber dann demütigte Japan das chinesische Team mit 7:1. Eine bittere Niederlage für jene Region, die 1931 von den Japanern besetzt wurde und in der antijapanische Gefühle noch stark sind. Schweigend sah die Menge zu, wie die Flagge mit der aufgehenden Sonne zu den Klängen der japanischen Nationalhymne gehißt wurde.
Dank der Bauern von Yabuli können die Chinesen aber immerhin den Sieg für sich reklamieren, daß die Spiele überhaupt stattfanden. Wer braucht Schneekanonen, wenn er Bauern hat? Rone Tempest
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