Press-Schlag: Wir sind edel und gut
■ Warum die Olympioniken die Bombe von Atlanta „wegdrücken“ müssen
„Es klingt platt“, sagte der Basketballer Charles Barkley: „Aber die Show muß weitergehen.“
Das muß sie. Das weiß jeder. Nur? Warum eigentlich?
Eine vermutliche Antwort: Weil sie dafür gemacht ist. Und die Olympioniken, das ist keine völlig neue Erkenntnis, sind diejenigen, die die Bombe von Atlanta am wenigsten brauchen können. Sportler haben ein Leben, mindestens aber eine Olympiade lang trainiert. In ihrem Kopf steht geschrieben (minimal): Bei Olympia starten! Maximal: Bei Olympia gewinnen! Nun kommt die Bombe. Da ist der Athlet, was? Probieren wir: Überfordert. Irritiert.
„Man will das nicht wahrhaben“, sagte der deutsche Gewichtheber Marc Huster, „man will den Glanz der Spiele nicht von irgendwelchen...Idioten kaputtgemacht haben.“ 100-m-Olympiasieger Donovan Bailey sagte dasselbe. Viele anderen Sportler auch. „Ich hätte es akzeptiert, wenn die Spiele abgebrochen worden wären“, meinte zwar der deutsche Ruderer Thomas Lange, nachdem er eine Bronzemedaille gewonnen hatte. Doch nicht jeder hat bereits zweimal Olympia-Gold gewonnen. „Idioten“ ist ein Wort, das jeder in diesem Zusammenhang im Mund führt.
Niemand mag sich gerne mit der Bombe beschäftigen, das ist verständlich. Zugegeben, jetzt kommt ein bißchen Populärpsychologie: Die Leute sind ja Sportler geworden, um sich fulltime mit Zehntelsekunden, Muskelfasern, anaeroben Bereichen etc. zu beschäftigen. (Andere sind übrigens aus ähnlichen Gründen Sportjournalisten geworden.) Viele eint, was ein Fernseh-Journalist am Samstag von sich gab. „Gerade nach dem Bombenanschlag“, sagte der ARD-Mann, „wünschen wir uns eine Welt, in der es so harmonisch zugeht, wie zwischen Dressurreiter und Pferd.“
So eine Welt wäre schön. „Wir sind edel und gut, und lieben uns doch alle“, schmettern die deutschen Gewichtheber in ihrem Olympiasong. Das kommt ironisch daher, doch natürlich spricht auch daraus eine Sehnsucht. Die Sehnsucht nach dem Besseren, dem Bombenlosen.
Dafür muß der Sport herhalten.
Wenn einer darüber nachdenkt, weiß er, daß auch und gerade der Sport diese Sehnsucht nicht erfüllen kann. Die meistens möchten dennoch so tun, als könne er es. Wenn nicht, soll er wenigstens von der Schlechtigkeit der Welt ablenken. Deshalb gibt es Olympische Spiele. Deshalb werden diese Spiele, trotz aller Fragwürdigkeit, immer noch trotzig so rezipiert, wie sie rezipiert werden.
Wenn der Gewichtheber Huster nach all den Jahren im Kraftraum einen Weltrekord gestemmt hat und dafür eine Silbermedaille umgehängt bekommt, dann will er ein Mann sein, der Olympia-Silber gewonnen hat. Er will natürlich kein Mann sein, der Olympia-Silber gewonnen hat, während eine Bombe hochging.
Es gehen ja überall irgendwelche Bomben hoch. Diese Bombe aber sagte dem Gewichtheber Huster: Hör mal, Hustl, ich bin eine Bombe und töte Menschen. Ich bin wichtiger als du mit deiner Silbermedaille.
Nichts ist wichtiger als eine Silbermedaille. Außer einer Goldmedaille. Oder zwei Silbermedaillen. Das ist die große Botschaft Olympias. Nachdem die Bombe explodiert ist und weitere sich angemeldet haben, heißt es: „The Games will go on.“ „Der Terror darf nicht siegen“, sagt der Präsident, „das ist nicht die amerikanische Art.“ Der Terror darf nicht siegen. Aber es darf auch nichts wichtiger sein als Olympia.
„Wegdrücken und weitermachen“, sagte die Siebenkämpferin Peggy Beer, drückte weg und machte weiter. Das Stadion war ja längst wieder voll. Wir hier zappten bereits am Samstag abend den „Brennpunkt“ weg und warteten ungeduldig auf den 100-m-Endlauf. Peter Unfried
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