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Press-SchlagArchaische Auswürfe

■ Das Fußballfeld: ein weiter Spucknapf

Bobic tut es. Auch Helmer. Oder Kirsten, Bäron, Herrlich. Mehmet Scholl macht es besonders gern und oft. Am Wochenende waren aktuell zu bewundern: Riedle, als er einmal zu spät kam gegen Golz, Nijhuis nach einem Foul, Kovacevic als erste Aktion nach seiner Einwechslung und Salou als mentale Vorbereitung zu einem Eckball. Seit die Kameras jede Regung der Stollenschuhfiguren beweiskräftig einfangen, präsentieren sie uns auch dieses boomende Phänomen: den hemmungslos rotzenden und spuckenden Kicker. Das Fußballmatch als letzter Hort freien archaischen Ausspünzens in einer ansonsten durchzivilisierten Gesellschaft unterdrückter Spuckgelüste.

Sie tun es bar jeder Scham. Ohne Rücksicht auf mögliche Ekelgefühle des Publikums. Meist unmittelbar nach vertanen Torchancen. Wörns schießt am Kölner Tor vorbei – Mund gespitzt und raus damit. Juskowiak zielt daneben – spei weg das Zeug! Winkler vergibt kläglich, breitbeinig kniet er nieder – und gibt eine Zugabe in elegant bogenförmiger Flugkurve. Manchmal hilft es: Akpoborie spuckt und trifft zweimal.

Andere sind Nasenspezialisten. Effenberg scheitert an Duisburgs Goalie Gill – ab geht die volle Ladung (und sogar ins Trikot!). Oder Sammer, „der Offensivlibero“ (Hitzfeld): Als er sich wieder einmal vorn herumtummelte und prompt vergab, vollführte er die nasale Variante nach alter Proletarierart (DDR-Sozialisation?) mit jeweils einem Finger als Hilfsmittel. Ja, was ist schon ein banaler Einwurf gegen einen kunstvollen Auswurf! Als wären die Plätze nicht schon naß genug zur Winterszeit. Bis zu vier Liter Flüssigkeit verliert ein Fußwerker pro Match. Es ist nicht nur Schweiß.

Das Phänomen beschränkt sich nicht nur auf die Bundesliga. Die Euro in England war, bei Licht besehen, mehr eine Eurotz (Dugarry: sensationell voluminös, Bergkamp: schier pausenlos, Gascoigne: dem Image verpflichtet, Lama: dem Namen verpflichtet).

Fragen bleiben. Vor allem die nach dem Warum. Ist es Frust? Aggressionsabbau? Eine Art Ersatzbefriedigung, wenn der Ball nicht reingeht? Ist es womöglich der Versuch einer volksnahen Geste von ansonsten abgehobenen Yuppie-Millionarios? Vielleicht wissen sie auch gar nicht, was sie tun. Hätte Freud Rat gewußt? Wir rufen hiermit die Sportpsychologen dieser Welt zur Deutung des Phänomens. Bitte melden!

Merkwürdig: Jürgen Klinsmann hält, soweit in dieser Saison beobachtbar, stets alles bei sich. Dabei hätte gerade er, vergebene Torchancen betreffend, jeden Samstag Anlässe im halben Dutzend. Ein Fall für den Psychiater? Oder hat er andere geheime Kompensationstechniken? Bernd Müllender

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