Press-Schlag: „Nur jagendes Herz“
■ Subjektivistisch-westerwäldlerisch: Scharpings Tour-de-France-×uvre
Heißt das nichts, wenn sich die Süddeutsche Zeitung und die FAZ fast aufs Wort einig sind? Oder nichts gutes? Das Protokoll: „Generell schien es bei dem deutschen Rennstall mit der Kommunikation ein bißchen zu hapern“ (FAZ).
Und: „Überhaupt war die Kommunikation beim Bonner Fernmeldekonzern leicht gestört“ (SZ).
Nun: Es geht natürlich gegen Rudolf Scharping. Es geschah Anfang dieser Tour-de-France- Woche, als der Telekom-Kapitän Bjarne Riis gestürzt war und sein Adjutant Udo Bölts per Handy strategische Hilfe anforderte. Doch im Mannschaftswagen saß nicht der sportliche Leiter Walter Goodefroot, sondern allein Radamateur Scharping (SPD, Bild, Bild am Sonntag).
Wenn sich das mal nicht zur politischen Metapher auswächst: „Co-Pilot Scharping wußte nicht recht weiter“, höhnte die SZ. In der FAZ heißt es, noch tückischer: „Scharping konnte in diesem Fall natürlich nicht helfen.“ Warum kann Rudolf Scharping natürlich nicht helfen? Wenn einer von der Basis anruft und einen Rat braucht? Kennt nicht gerade der stellvertretende Parteivorsitzende sich mit bitteren Stürzen aus wie kein zweiter?
Na, da liegt natürlich die Vermutung nahe, daß die Kollegen Radsportjournalisten bloß ein bisserl neidisch sind. Schließlich dürfen die nicht einmal im Besenwagen mitfahren. Geschweige denn in jenem der Telekom!
Und dann sehen sie ihre bemühten, aber geschäftsmäßig- distanzierten Reportagen auch noch verblassen neben Scharpings subjektivistisch-westerwäldlerischer Schreibe.
„Von meinen eigenen Touren auf bekannte Berge der ,großen Schleife‘ weiß ich: Du bestehst nur noch aus jagendem Herzen, keuchendem Atem, schmerzenden Muskeln – und aus dem Willen anzukommen, den inneren Schweinehund zu überwinden.“ So stand es gestern in seiner Bild-Kolumne mit dem Titel „Diese Anspannung – der Puls rast auf 180 Schläge hoch...“
Radsportjournalist Scharping ist ein geschulter Beobachter. Seine Stärke sind die Adjektive. Die Arbeit ist „präzise“, die Zuverlässigkeit „absolut“, die Muskeln „verspannt“, die Art des Masseurs „kauzig“ – und der Rennleiter „erfahren, fröhlich und schlitzohrig“.
Bei aller Akribie verliert er nie den Blick für das Ganze. „Diese Leistung ist ohne eine starke Mannschaft nicht denkbar. Ohne Mannschaft gibt es weder Spitzenleistungen noch Stars.“
So stand es schon im Godesberger Programm. Eines darf man dem Bild-Kolumnisten Scharping allerdings erst einmal auf gar keinen Fall vorwerfen: Opportunismus.
Thuraus großes Jahr liegt schließlich ewig zurück. Das muß noch zu Zeiten einer sozialliberalen Koalition gewesen sein. Danach war die Tour in Deutschland meist von mäßigem Interesse. In diesem Jahr haben die übertragenden dritten Programme prima Quoten. Im Stern kann schon man Jan Ullrichs „Tour-Tagebuch“ lesen – und unmittelbar nach Tour-Ende als Buch kaufen. Das Zeit-Magazin radelt Streckenteile ab. Und Bild berichtet wie sonst nur über Lothar Matthäus und Boxen. Das liegt natürlich daran, daß „unser deutsches Team“ (Scharping) seit dem Vorjahr vorneweg radelt.
Rudolf Scharping allerdings saß ja zu Zeiten mit den Fahrern in spartanischen Hotels, als die Leistungen noch mäßig und die Stimmung „eher gedrückt“ war.
Also: Der Mann hat sich seine Position mal wieder redlich verdient. Nur eines gibt zu denken. Während die Fahrer Tag für Tag „völlig erschöpft“ das Gefühl von „Glück und Triumph“ erfahren, hat Scharping in der ersten Woche bereits zwei Kolumnen-Ruhetage genommen. Und das, wo er doch nächste Woche schon vom Laptop steigt. Ist das Corpsgeist? pu
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