Press-Schlag: Borussia ohne Zukunft
■ Dortmunds Leidenszeit geht weiter
Am Ende sangen die Zuschauer im Westfalenstadion das Lied vom Tag, der so wunderschön wie heute sei und nie vergehen solle. Das meinten sie aus ehrlicher Dankbarkeit dafür, daß nach dem September nicht auch der Oktober ohne einen Bundesligasieg der Borussia zu Ende gegangen war. Das bejubelte Kampfkraft und Engagement eines Dortmunder Teams, das seinem Gast aus Rostock beim 3:2 spielerisch deutlich unterlegen war. Und es geschah im Wissen darum, daß die Zeit der Leiden für die beste Mannschaft Europas der letzten Saison in dieser Spielzeit längst nicht vorbei ist.
Gerade nach einer der besseren Leistungen der letzten Wochen wurde überdeutlich, daß Borussia Dortmund die Gegenwart vielleicht noch bewältigen mag, aber als Spitzenteam keine Zukunft mehr hat. Mit den handelsüblichen Psychologismen hat das wenig zu tun, mit der Schwierigkeit also, sich nach dem Erreichen von großen wieder kleineren Zielen zu stellen oder mit dem Streit der Stars, Eifersüchteleien und vermeintlichen Intrigen. Davon nämlich war gegen Rostock nichts zu sehen. Umso klarer zeichneten sich sportliche Grenzen ab.
Jürgen Kohler und vor allem Julio Cesar nähern sich deutlich der Altersgrenze und überspielen ihre Schwächen nurmehr mit großer Routine, und Kohler besonders mit Härte. In der Reihe der Spieler, die ihre größten Zeiten hinter sich haben, gehört auch Stephane Chapuisat, bei dem nur verläßlich ist, daß seine Klasse allein auf Momente beschränkt bleibt. Ein gehobener Mitläufer ist Paul Lambert, der wieder nach Schottland zurück möchte. Und bei Knut Reinhardts so engagierten wie planlosen Aktionen wenden sich gar die Flutlichtmasten beschämt ab.
Steffen Freund gibt zwar den wilden, hingebungsvollen Kämpfer, kann einer Spitzenmannschaft aber kaum Kontur geben. Letzteres gilt auch für Paulo Sousa, weil er für den Fußball der Bundesliga zu lethargisch ist und zu wenig Eigeninitiative zeigt. Vladimir But läßt blaß und unauffällig nicht erahnen, warum er als bester Jugendspieler Europas tituliert wurde.
So bleibt neben Jörgen Heinrich als einzig beständigem Lieferanten guter Leistungen nur Andreas Möller. Gegen Rostock war er mit zwei Treffern der Spielgewinner, hatte trotz Halsschmerzen die Verantwortung für die Gestaltung des Spiels übernommen und ihr standgehalten. Das war beeindruckend, aber kann nicht allein den Weg in die Zukunft weisen.
Und Lars „ich sehe“ Ricken? Oder Matthias Sammer? Eine große Mannschaft ist aufgezehrt, ihre Erneuerung verpaßt. Es bleiben nur die Mühen der Ebenen. Wie lange diese dauern werden, beginnen die Fans im Westfalenstadion gerade zu ahnen. Christoph Biermann
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