Press-Schlag: Ganz gut, aber nicht gerade modern
■ Oliver Kahns Serie erklärt wenig
Menschen mit Sinn für Schadenfreude – also wir alle – frohlockten: Mit einem mißglückten Abwurf verfehlte Stuttgarts Keeper Franz Wohlfahrt nur hauchdünn das eigene Tor. Hans-Jörg Butt (HSV) war weniger zimperlich: Mit einer logisch kaum nachzuvollziehenden Bewegung boxte er das Leder in die eigenen Maschen. Pech, klar. Dennoch Indizien dafür, daß die Bundesliga-Keeper in den letzten Jahren nicht grundlos an Renommee eingebüßt haben.
Nur einer scheint unkritisierbar: Oliver Kahn. Noch acht Minuten muß der Münchner ohne Gegentor überstehen – dann ist er der Schlußmann mit der längsten „Zu- Null-Serie“ in der Ligageschichte. Daß Bremen diesen Rekord verhindert, ist angesichts der kümmerlichen Angriffsleistung gegen Wolfsburg (0:1) nicht zu erwarten. In Zeiten des gepflegten Superlativs („Deisler – der neue Netzer“) drängt sich die Frage auf: „Ist Kahn jetzt der beste Torwart aller Zeiten?“ Die Antwort: Nee.
Kahns Fähigkeiten sind unbestritten: Ehrgeiz, Mut, tolle Reflexe. Trotzdem wirkt sein Spiel anachronistisch. Der moderne Torhüter muß Fuß(!)-Ball spielen. Europäische Topteams agieren mit Abwehrketten ohne Absicherung. Da kommt dem Torwart auch die Rolle des Liberos zu. Gefragt sind der Blick fürs Spielgeschehen, großer Aktionsradius, gute Schußtechnik. Kahn aber fühlt sich nur zwischen den Pfosten wohl. Den Fünfmeterraum verläßt er vor allem, um das Obst einzusammeln, das unsäglicherweise auf ihn geworfen wird. Nicht zu vergessen: Kahns Serie ist auch Produkt der Bayern-Dominanz. Das 2:0 beim HSV bewies dies erneut.
Kahns Widerpart ist Jens Lehmann. Der Dortmunder hat mit seinem dritten „Zu-Null-Spiel“ in Folge großen Anteil am Zwischenhoch der Borussia. Gegen Leverkusen (1:0) spielte er stark, die Westfalen hoffen nun auf die Champions-League. Lehmann sieht sich als moderneren Keeper. Der mißglückte Italien-Trip ist da keine gute Argumentationsbasis. Dennoch stimmt's. Fußballerische Fähigkeiten hat er nicht zuletzt mit seinem legendären Kopfballtor bewiesen. Vor allem aber ist er der Keeper mit der besten Strafraumbeherrschung: Während Lehmann die weite Flanke runterpflückt, pariert Kahn den anschließenden Schuß. Kahns Aktion ist spektakulärer, Lehmanns effektiver.
Die offensive Spielweise von Lehmann oder auch Gabor Kiraly (Hertha BSC) birgt Risiken. Die Gefahr, schlecht auszusehen, ist groß. Andererseits: Der traditionell agierende Andreas Köpke bekommt seit Jahren gute Noten, muß aber einen Abstieg nach dem anderen verkraften. Nach dem 0:2 in Kaiserslautern deutet viel darauf hin, daß es ihn mit Nürnberg erneut erwischt. Zufall?
Wie ist Kahns bevorstehender Rekord denn jetzt einzuordnen? Bisheriger Rekordhalter ist der von den Fans als „Pannen-Olli“ liebkoste Reck (Schalke 04). Das relativiert einiges. Markus Geling
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