Press-Schlag: Leiden und Schmerzen
■ Das angeschlagene IOC folgt seinem Präsidenten und beschließt Reformen
Dass Juan Antonio Samaranch, wenn er übermorgen vor den Mitgliedern des US-Kongresses steht, ein ebenso leichtes Spiel haben wird wie an diesem Wochenende in Lausanne, darf getrost bezweifelt werden. Immerhin reist der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) aber wesentlich rückengestärkter nach Washington, als es viele seiner Getreuen vor der 110. Vollversammlung der olympischen Gralshüter befürchtet hatten.
Mit überwältigender Mehrheit akzeptierten die Mitglieder des IOC alle von der Reformkommission vorgeschlagenen Neuregelungen, inklusive des bis zuletzt stark angefeindeten Besuchsverbots von Kandidatenstädten. „Stärker, demokratischer, transparenter und verantwortungsbewusster“ könne das IOC in das neue Jahrhundert eintreten, frohlockte Samaranch, der es in der tiefsten moralischen Krise der 105-jährigen Geschichte der Orga- nisation geschafft hatte, deren Untergang gerade noch abzuwenden.
„Die alte Garde hat Widerstand geleistet“, verriet das italienische Mitglied Mario Pescante bezüglich des Besuchsverbots, das die Olympier der so gern gepflegten Gewohnheit beraubt, sich bei ihren Stippvisiten von den Olympiabewerbern verhätscheln zu lassen. „Der Präsident und seine Freunde haben während des Abends aber sehr gute Lobbyarbeit geleistet“, berichtete der Italiener weiter. Ergebnis der Gehirnwäsche: Nur zehn Gegenstimmen bei der brisanten Entscheidung am gestrigen Vormittag.
Auch alle anderen Reformen gingen glatt durch, insgesamt gab es bei den 22 Abstimmungen nur 26 Gegenstimmen und 18 Enthaltungen. Beschlossen wurde z. B. die Aufnahme von 15 Athletenvertretern ins IOC – darunter des deutschen Ex-Ruderers Roland Baar. Deren sofortige Aufnahme war umstritten, im Amt bleiben sie zunächst nur bis zu den Olym- pischen Spielen 2000, wo Neuwahlen zur Athletenkommission stattfinden. Ebenfalls akzeptiert wurden die Senkung des Altersbegrenzung auf 70 Jahre, die Begrenzung der Amtszeit eines IOC-Mitgliedes und auch des Präsidenten auf acht Jahre (mit der Möglichkeit einer vierjährigen Verlängerung), die Begrenzung der Mitgliederzahl auf 115 und die Aufnahme von je 15 NOK-Präsidenten und 15 Chefs von Weltverbänden. Versüßt wurde die bittere Pille den Altmitgliedern dadurch, dass die Altersbegrenzung natürlich nur für Neulinge gilt und dass sie erst mal eine achtjährige IOC-Zugehörigkeitsgarantie bekamen.
Samaranch ließ keinen Zweifel daran, dass die Reformen keineswegs freiwillig erfolgten, sondern dem IOC nach den Skandalen des letzten Jahres von der Öffentlichkeit und vor allem unwirschen Sponsoren aufgezwungen wurden. Von Reue oder Einsicht keine Spur, stattdessen spielte der 79-Jährige die geplagte Unschuld. „Ihr wart harscher Kritik ausgesetzt, oft unfair“, umsäuselte er die IOC-Mitglieder, „ihr habt unverdiente Leiden und Schmerzen durchgestanden.“ Und fügte hinzu: „Auch ich habe gelitten.“
Nicht nur in den USA, auch in Sydney kommen derartige Attacken auf die Tränendrüsen derzeit nicht besonders gut an. Das australische Organisationskomitee der Olympischen Spiele 2000 (Socog) hat im Gefolge des IOC-Skandals erhebliche Schwierigkeiten, seinen Sponsorenetat zu decken. Es fehlen noch rund 140 MillionenDollar. Noch bedenklicher dürfte das IOC stimmen, dass in Atlanta der Marketing-Manager von Coca-Cola, dem hochkarätigsten Olympia-Sponsor, öffentlich über ein Ende des Engagements nach Auslaufen des Vertrages im Jahr 2008 nachdachte.
Für Juan Antonio Samaranch empfiehlt es sich in jedem Fall, am Mittwoch vor dem Kongress, der über die Steuervergünstigungen für das IOC befindet, und danach bei einer freiwilligen Aussage vor dem FBI eine gute Figur zu machen. „Schwer zu sagen, wie die Sache in den Vereinigten Staaten ankommt“, meint skeptisch Professor John MacAloon, ein Olympia-Historiker, der bei den IOC-Reformen mitwirkte. Samaranch jedenfalls reist vorsichtshalber mit seinem Diplomatenpass in die USA, den er aus der Zeit als spanischer Botschafter in Moskau besitzt. Bei diesen verdammten Yankees kann man schließlich nie wissen. Matti Lieske
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