Prager Aktivisten protestieren: Hungerstreik gegen US-Radaranlage
Zwei tschechische Aktivisten protestieren gegen ein von der Regierung mit den USA geplantes Raketenabwehrsystem und fordern eine öffentliche Debatte.
PRAG taz Das geplante US-Radarsystem in Tschechien hat Jan Tamas in einer Woche um sieben Kilo Körpergewicht gebracht. Der Aktivist der "Humanistischen Bewegung" ist mit seinem Kollegen Jan Bednar seit dem 13. Mai im Hungerstreik - öffentlich, in einem ehemaligen Ladenlokal in der Prager Innenstadt.
"Wir fordern einen Stopp der Verhandlungen zwischen der tschechischen Regierung und den USA über das geplante Raketenabwehrsystem", sagt Tamas. "Oder zumindest eine wirklich öffentliche, demokratische Diskussion", fügt er hinzu. Obwohl sich zwei Drittel der tschechischen Bevölkerung in wiederholten Umfragen immer wieder gegen die geplante Stationierung des US-Radars in den mittelböhmischen Brdy-Wäldern ausgesprochen haben, hat die konservativ-liberal-grüne Regierungskoalition am Mittwoch ein entsprechendes Abkommen mit den USA gebilligt.
Ursprünglich sollte US-Außenministerin Condoleezza Rice schon Anfang Mai in Prag den Grundlagenvertrag zwischen Tschechien und den USA über das Radar unterzeichnen. Aus Zeitgründen, so hieß es offiziell, blieb Rice bislang der Moldaumetropole fern. Gemunkelt wird jedoch, dass zwei große Fragezeichen die Ratifizierung des Abkommens verzögert haben.
So ist der Status, den US-Soldaten auf der Radarstation auf tschechischem Boden hätten, noch ungeklärt. Dazu kommt, dass die Verhandlungen mit Polen ins Stocken geraten sind. Dort sollen die Raketen, die den Radar in Böhmen erst zum Schutzschild machen würden, stationiert werden. Die Polen verlangen von den Amerikanern Sicherheitsgarantien, die Prag schon hat. Zum Beispiel, dass die USA im Ernstfall Tschechien vorrangig schützen würden.
Die tschechische Regierung hat schon signalisiert, den US-Radar auch ohne Raketen in Polen installieren zu lassen. "Das wirft die Frage auf, ob es den USA wirklich um den Raketenschutzschild geht oder darum, hier in Tschechien eine Militärbasis zu haben", sagt Jan Tamas. Ohne Raketen wäre das Radar nicht Teil eines Schutzschildes gegen sogenannte Schurkenstaaten, sondern eine reine Abhöranlage.
Über eine weitere Variante berichtete die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza. Sollten die Polen sich weigern, würden die Tschechen nicht nur das Radar, sondern auch die Raketen aufnehmen, hieß es mit Berufung auf diplomatische Quellen.
Bleibt die Frage, warum eine Regierung, die sich nur auf eine dünne parlamentarische Mehrheit stützen kann, gegen den Willen des Volkes das US-Radar unbedingt durchsetzen will. "Es gibt hier keine öffentliche Diskussion", sagt Jan Tamas, "das Ganze erinnert mich an die Zeit vor 1989, als Politiker Entscheidungen über die Köpfe der Bürger hinweg fällten." Gegner des Radars werden, wie kürzlich von Ministerpräsident Mirek Topolanek, abgetan als "Menschen, die die Grundfeste unserer Zivilisation zerstören". Ängsten, über mögliche gesundheitsschädliche Auswirkungen des Radars begegnete er mit dem Argument, gestorben werde überall.
Möglichst wenig beachtet von der Öffentlichkeit soll die parlamentarische Diskussion über das Radar stattfinden. Die Parlamentsabstimmung ist für Ende Juni/Anfang Juli angesetzt. Eine Zeit, in der die meisten Tschechen letzte Urlaubsvorbereitungen treffen oder auf ihren Datschen sitzen. SASCHA MOSTYN
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