piwik no script img

■ PortraitSven Ottke warnt den Sieger

Oben im Ring hatten Zwölfe ihr schönstes Lächeln für die Meisterfotos rausgekramt, und unten schlich Sven Ottke vorbei und mußte auch noch ein blaugeschwollenes Jochbein herzeigen. Beides schmerzte. Immerhin hatte Ottke (27) seit 1985 neunmal ununterbrochen zu denen gehört, die fürs Foto der Sieger posieren durften. Und nu? War da ein brillant boxender 19jähriger gekommen und hatte die gute, alte Halbschwergewichtsordnung außer Kraft gesetzt.

Thomas Ulrich, Berliner wie Ottke, aber im Gegensatz zu diesem im Lande geblieben, wurde zumindest vom eigenen Landesverband als der neue Mann auserkoren und entsprechend promotet. Was dazu führte, daß das Publikum in bewährtem Schwarzweißdenken für den nach Karlsruhe verzogenen Spandauer plötzlich nur noch Pfiffe übrig hatte.

Der Europameister 1991, zu Vor-Wendezeiten und danach Hauptimageträger des deutschen Amateurboxens, fühlt sich plötzlich etwas abgeschoben. „Im Boxsport“, sagte er danach frustig in der Kabine, „ist es so, daß Menschen entscheiden.“ Wohl wahr, das Dumme ist nur: „Menschen sind beeinflußbar.“ Das haben andere bei den Titelkämpfen auch feststellen müssen, doch jedesmal war es so, daß sich die Punktrichter am Ende für den etablierten Boxer entschieden. Nur im Falle Ottkes votierten sie vermutlich korrekt 21:17 für Ulrich.

Dabei glaubte Ottke alles richtig gemacht zu haben, den Jüngeren nämlich „sich ausklopfen lassen und dann loslegen“. Doch auch nach Runde zwei war Ulrich noch vorn (12:9), und dann „mußt du aufmachen, dann machst du halt Fehler“.

In den letzten Sekunden rannte er in die Fäuste Ulrichs, verlor, und so ist nun der Wettbewerb um den einen Startplatz für die WM in Berlin nächsten Mai eröffnet. Ausweichen kann keiner der beiden, „durch Kochen“, sagt Ottke, „verliere ich die Freude am Boxen“. Profi werden? Ottke ist kein Boxer, der von ganz unten kam, arbeitet abgesichert als Industriekaufmann beim Sponsor. Und Ulrich glaubt seinen Beratern, daß er bis nach Atlanta warten soll.

Tja, seufzt der Präsident Maurath jetzt schon: „Sie können nur einen mit zur WM nehmen.“ Wer das sein wird? Zweimal wird man sich aller Voraussicht nach in der Bundesliga treffen, und dann erst entscheiden Ende März beim Chemie-Pokal in Halle.

So hat also Sven Ottke leicht angesäuert geschaut, als bei der Siegerehrung die Lobeshymnen über den Jüngeren hereindröhnten, und der Berliner Präsident Hans- Peter Miesner, einst Ottkes größer Fan, Ulrich mit einem treuen „wir haben immer an dich geglaubt“ adelte. Doch dann hat er das Mikrophon genommen: „Wer zuletzt lacht“, hat er gewarnt, „lacht vielleicht am besten.“ Denn das ist der, der zuletzt und am besten schlägt. pu

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen