Pop-Nachwuchs aus Bayern: Phönix aus der Asche
Der 22-jährige Josef Wirnshofer schreibt als The Marble Man klassizistische Popsongs. Für ihn ist Musik machen "genauso wie einkaufen oder kochen".
Unabhängigkeit, Freiheit, Einsamkeit - diese Worte will Josef Wirnshofer nicht hören. Zumindest nicht, wenn man über seine Lieder spricht. Er ist bemüht, sich mit Bedacht zu äußern, will seine Songs nicht zu sehr intellektualisieren.
Und doch kommt man an diesen Worten nicht ganz vorbei, wenn man über das, was er als The Marble Man aufgenommen hat, spricht. "Later, Phoenix" heißt sein zweites Album, und auf dem geht es um "die Suche nach dem Moment, in dem man sich selbst gefunden hat", wie es Wirnshofer formuliert. Die Ankunft an diesem Punkt steht noch aus: deswegen auch "Later, Phoenix".
Seit er 13 ist, macht Josef Wirnshofer Musik: Für ihn ist "das genauso wie einkaufen oder kochen". Wirnshofer ist ein musikalisches Multitalent. Für die meisten seiner Lieder nimmt er alles, vom Gesang über Gitarre, Bass und Schlagzeug bis hin zur Orgel, selbst auf. Seine ersten Demotracks hat er auf dem elterlichen Dachboden produziert. Mit 19, sein Abitur hatte er gerade absolviert, veröffentlicht er sein Debütalbum "Sugar Rails". Als das erscheint, schreibt "jetzt.de": "Bayern hat jetzt auch einen Conor Oberst". Verglichen wird er nicht nur mit dem Frontmann der Bright Eyes aus Omaha. Wenn es um die Musik des jungen Bayern geht, der aus einem Dorf nahe Traunstein kommt, fallen große Namen, wie die der Singer/Songwriter-Heiligen Nick Drake und Elliot Smith.
Am Anfang des Schaffens stehen bei dem 22-Jährigen jedoch andere: etwa die Beatles, deren zarten Nachhall man in vielen Songs hört und die der Grund sind, warum The Marble Man die Texte auf Englisch gesingt. Oder Nico, deren Album "The Marble Index" Wirnshofer zu seinem Künstlernamen inspirierte.
Doch zurück zu Unabhängigkeit, Freiheit und Einsamkeit. Der melancholische Blick des Einsamen, der auf "Sugar Rails" dominierte, ist auf "Later, Phoenix" nicht verschwunden. Auch ein Teil der Songs entstand immer noch in der ländlichen Einsamkeit des Bauwagens, in dem das Coverfoto von "Sugar Rails" Wirnshofer zeigt. Dennoch besteht ein Unterschied - die Perspektive ist eine andere: "Man ist immer allein, aber allein ist nicht gleich einsam. Man ist in der Hinsicht allein, dass man alle seine Entscheidungen allein fällen muss." Diese Erkenntnis steht zwischen den beiden Alben. So ist es ein kleines Fazit, wenn Wirnshofer in "Snow and Smoke", dem finalen Stück von "Later, Phoenix?", singt: "Youre always alone / youre finally home."
Natürlich ist Wirnshofer aber nicht nur reifer geworden. Auch musikalisch ist eine Entwicklung festzustellen. Bei all der Melancholie, die den Songs zugrunde liegt, hat Wirnshofer als Arrangeur sein Spektrum erweitert. In der Tendenz steht weniger die Suche nach dem perfekten Indie-Pop-Song im Mittelpunkt als das Interesse daran, widerborstigere Elemente in die Songs zu integrieren, was bei der bisherigen Zartheit der Songs schon eine verzerrte Gitarre sein kann.
Denn, auch wenn Wirnshofer - "Älter wird man auch auf dem Land" - das bestreitet: Zur Reifung hat bestimmt auch der Umzug in die nächste Großstadt, nach München, beigetragen. Zum einen sind da so praktische Dinge, wie das Problem, dass Wirnshofer in seiner neuen Studenten-WG nicht mehr einfach zum Aufnehmen auf den Dachboden gehen kann, sondern, wenn er das tun will, ein Studio buchen muss.
Zum anderen ist da die Stadt an sich, die gegenüber der ländlichen Gegend, aus der Wirnshofer stammt, anonymer ist und damit der Besinnung auf sich selbst Vorschub leistet. Es ist ganz einfach der Aufbruch aus dem Elternhaus, die Loslösung aus den Strukturen, die den neuen Lebensabschnitt bestimmte.
Der Albumtitel, "Later, Phoenix", deutet an, dass die Wiederauferstehung im Finden seines Selbst - so sagt Wirnshofer - auf später verschoben wird. Trotz allem ist "Later, Phoenix" - wenn dies auch ein großes Wort sein mag - eine kleine Unabhängigkeitserklärung.
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