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■ Polizeiaktionen zur Verhinderung kurdischer DemosWie politisch darf ein Ausländer sein?

„Ausländer sollen sich anständig benehmen, sie sind schließlich Gäste in unserem Haus.“ Das politische Bild, das dieser Satz enthält, ist gleich doppelt falsch. Denn nicht nur ist die Bundesrepublik kein abschließbarer Wohnraum, die hier lebenden Ausländer sind auch nicht zum vorübergehenden Besuch da. Zum größten Teil werden sie bleiben.

Solange unsere lieben Ausländer sich darauf beschränken, artig, in Tippelschritten und unter Übernahme der für sie bereitgestellten politischen Rhetorik den Weg der Integration zu beschreiten, ist die deutsche Welt in Ordnung. Aber wehe, wenn der Ton anmaßend und die Tonlage schrill wird. Wenn Wut und Verzweiflung das angelernte, submissive Rollenverhalten außer Kurs setzen. Dann reißt das dünne Gewebe multikultureller Nettigkeit.

Jetzt, angesichts terroristischer Angriffe auf türkische Einrichtungen in der Bundesrepublik, zeigt die Staatsgewalt bei uns die entsetzte Miene des gütigen Herbergsvaters, dem das Mobiliar zerdeppert wurde. Teure Bundesregierende, seid ihr kraft eurer Politik gegenüber der Türkei nicht die Hauptimporteure bewaffneter kurdischer Aktionen, habt ihr dem Transfer des Bürgerkrieges nicht selbst den Weg bereitet, nachem euer Kriegsgerät bei der Bekämpfung der „kurdischen Separatisten“ die absehbare Wirkung gezeigt hat? Jetzt aber, nach den Attentaten, heißt es: draufschlagen gegen „die Kurden“. Jetzt gilt es, wie in Frankfurt, generelle Demonstrationsverbote auszusprechen, Massenkontrollen durchzuführen, ein Sammellager für die Festgenommenen einzurichten. Ein wirklich glänzender Einfall, um Abertausende kurdischer Menschen in Deutschland, die ihr Land lieben, aber bislang auf die PKK ganz gut verzichten konnten, in die Hände der Stalino-Nationalisten zu treiben.

Auch wenn die Vorbeugungsaktionen von Frankfurt sich auf allgemeine polizeirechtliche Ermächtigungen stützten – Tatsache ist, daß die politische Betätigung von Ausländern bei uns kraft Gesetzes eingeschränkt, in einer Reihe von Fällen sogar generell verboten ist. Noch immer behält das Grundgesetz das Demonstrations- und Vereinigungsrecht „allen Deutschen“ vor. Zwar gibt das Versammlungsgesetz „jedermann“ das Recht, Demos und Meetings zu veranstalten. Aber das Ausländergesetz schränkt dieses Recht auf eine Art und Weise ein, die mit den Menschenrechten, speziell mit dem auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und dem auf Meinungsfreiheit, nicht zu vereinbaren ist. Oder enthält der Paragraph 37 des Ausländergesetzes etwa nicht die Generalklausel von den „erheblichen Interessen der Bundesrepublik“, denen die politische Aktion der Ausländer nicht zuwiderlaufen dürfe? „Politische Betätigung“ von Ausländern ist eben nicht selbstverständliche Alltagspraxis, sie unterliegt der argwöhnischen Reglementierung, vor allem wenn sie nicht wohltemperiert daherkommt, wenn sie sich untersteht, die Hand zu beißen, die sich ihr huldvoll entgegenstreckt.

Auf der Demonstrations- und Meinungsfreiheit der Kurden in Deutschland zu bestehen und gleichzeitig die schwächliche Reaktion zu brandmarken, die die Attentate gegen türkische Einrichtungen in der deutschen Öffentlichkeit ausgelöst haben, widerspricht sich überhaupt nicht. Nachdem die deutsche Regierung bereits de facto zur Bürgerkriegspartei geworden ist, ihre Erklärungen und Aktionen daher allesamt das Kainsmal tragen, wäre es die Aufgabe der deutschen „Bürgergesellschaft“, sich in den türkisch- kurdischen Antagonismus einzumischen, so gering auch die Erfolgsaussichten jedes Vermittlungsversuchs sein mögen. Dabei gilt es, die demokratischen Rechte der Kurden ebenso zu verteidigen wie die Rechte der Türken auf Leben und Eigentum.

Es geht darum, den Restbestand der in vier Jahrzehnten in der Fremde, auf deutschem Boden, entstandenen türkisch-kurdischen Gemeinmsamkeit am Leben zu erhalten, zu aktivieren: das gemeinsam von Kurden und Türken veranstaltete Konzert; das Fußballmatch, wo Spieler beider Nationen unverdrossen in der gleichen Mannschaft kicken; die öffentliche, politische Diskussion, die beides thematisiert – den Terror der türkischen Armee gegen die kurdische Bevölkerung und den Terror der PKK. Kurden wie Türken haben Anspruch darauf, von uns gehört zu werden. Sie haben Anspruch auf unsere – informierte – Parteinahme. Das setzt allerdings voraus, woran es am meisten fehlt: Achtung und Anerkennung. Christian Semler

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