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Archiv-Artikel

Polizei lauscht kaum an Handys

Niedersachsen und Rheinland-Pfalz wollen Telefone präventiv überwachen. In Thüringen ist das schon erlaubt – aber diese neue Befugnis wird kaum genutzt

FREIBURG taz ■ Thüringen findet Nachahmer: Nun wollen auch Niedersachsen und Rheinland-Pfalz die präventive Überwachung der Telekommunikation erlauben. Man hofft, Straftaten frühzeitig zu verhindern und andere Gefahren abzuwehren. Bayern hat einen ähnlichen Plan nach Protesten auf die Zeit nach der Landtagswahl im September verschoben. Bisher ist die Telefonüberwachung nur zur Verfolgung von Straftaten gestattet – also erst nachdem eine Tat begangen wurde. Begründet wird die Reform der Polizeigesetze damit, dass die Bedrohung durch Terrorismus und organisierte Kriminalität zunehme.

Die Bürgerrechtler von der Humanistischen Union sprechen hingegen von einem „brutalen Angriff auf das Fernmeldegeheimnis“. Der Deutsche Anwaltverein warnt vor „Ermittlungen ins Blaue hinein“. Und der grüne Rechtspolitiker Volker Beck hält Abhörmaßnahmen „ohne Tatverdacht“ sogar für verfassungswidrig.

Aufgrund bloßer Vermutungen soll die Polizei freilich nicht tätig werden können. Voraussetzung sind stets „Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen“, es sei eine Straftat von erheblicher Bedeutung geplant. Kritiker befürchten jedoch, dass ein anonymer Hinweis genügen könnte.

Interessant ist daher ein Blick nach Thüringen, wo die umstrittene Regelung bereits seit einem Jahr besteht. Bisher habe es ganze 13 Anwendungsfälle gegeben, so das dortige Innenministerium. Und in keinem dieser Fälle wurden Telefone zur Verhütung von Straftaten abgehört. Vielmehr wurde stets nur das Handy zur Ortung von Vermissten genutzt. So rief ein verunglückter Motoradfahrer noch per Handy um Hilfe, bevor er das Bewusstsein verlor. Dank seiner Botschaft wurde er geortet.

Mit solchen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr können auch Bürgerrechtler leben. „Allerdings sollte das Abhören zur Verhütung von Straftaten wieder abgeschafft werden“, fordert Nils Leopold, Geschäftsführer der Humanistischen Union. Der Bedarf scheint auch nicht groß zu sein, wie die Praxis in Thüringen zeigt. Das sieht Wolfgang Herbrand vom Innenministerium anders: „Man kann nie ausschließen, dass wir die Befugnis einmal benötigen.“

Eine relevante Lücke gab es bei den Polizeibefugnissen allerdings auch vorher nicht. Im Terrorismus und bei der organisierten Kriminalität ist bereits die Bildung einer „Vereinigung“ strafbar. Deshalb konnte immer relativ leicht abgehört werden – auch im Vorfeld der eigentlichen Straftaten. CHRISTIAN RATH