piwik no script img

Archiv-Artikel

Polizei hängt an falschen Bärten

Heute verhandelt das Verwaltungsgericht die Klage eines Antifa: Er war aufgrund der Aussage von Polizisten verurteilt worden, die vor Gericht anonym auftraten. Diese Praxis stößt immer häufiger auf Kritik. Polizei-Chef Glietsch hält sie für unverzichtbar

von JÖRG MEYER

Zum wiederholten Mal befasst sich heute ein Gericht mit anonymen Polizisten. Diesmal treten sie aber nicht als Zeugen auf: Der Antifa Christian S. möchte wissen, wem er seine Verurteilung zu einem Jahr Haft zu verdanken hat – und klagt auf Enttarnung der wichtigsten Zeugen.

S. war Anfang des Jahres verurteilt worden, weil er im Februar 2005 am Rande einer Nazi-Demo in Dresden eine Flasche auf Polizeibeamte geworfen haben soll. Weil Staatsanwaltschaft und Verteidigung Berufung eingelegt haben, ist das Urteil nicht rechtskräftig. S. hat sich zu dem Vorwurf nicht geäußert. Wichtigste Zeugen der Anklage waren mehrere Zivilfahnder einer Sondereinheit des Berliner Landeskriminalamtes (LKA), die S. in Dresden festgenommen hatten. Im Gerichtssaal traten sie mit falschen Bärten, Brillen und Perücken auf, statt ihrer Namen gaben sie lediglich Nummern zu Protokoll. Grund für den Mummenschanz war eine so genannte Sperrerklärung der Senatsinnenverwaltung. Sie sollte die Identität der Beamten schützen.

Die Mitglieder der LKA-Sondereinheiten sind Polizeibeamte, die ihren Dienst in Zivilkleidung oder Uniform tun. Sie sind im Spezialeinsatzkommando (SEK), dem Mobilen Einsatzkommando (MEK) oder der PMS-Einheit („politisch motivierte Straßengewalt“) tätig. Wie genau die Einheiten aufgestellt sind, ist kaum bekannt. Unter anderem greifen sie bei Demonstrationen ein und verhaften. Sie observieren politische Veranstaltungen. Um verdeckte Ermittler im eigentlichen Sinne, die unter falscher Identität operieren und mit Sonderrechten ausgestattet sind, handelt es sich indes nicht.

In seltenen Fällen wird ein Name bekannt, wenn ein Beamter über die Stränge schlägt. Zuletzt im Oktober 2005 Rouwen K., der bei einer linken Demo die Beherrschung verlor und mit dem Schlagstock in die Menge prügelte. Knochenbrüche und Platzwunden waren die Folge.

In einem anderen Fall, in dem gegen Beamte wegen Körperverletzung im Amt ermittelt wird, sind diese bislang anonym. Kritik daran will Polizeipräsident Dieter Glietsch nicht gelten lassen: „Im Zusammenhang mit der Codierung von Polizeibeamten und -beamtinnen muss fein unterschieden werden zwischen dem Status als Zeuge oder als Beschuldigter. Sofern gegen einen Polizeibeamten strafrechtliche Ermittlungen geführt werden, endet die Codierung spätestens mit Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft.“ Anwältin Silke Studzinsky, die auch Christian S. vertritt, sieht das nicht ein: „Man kann nicht gegen Beschuldigte als Nummern ermitteln. Es gibt keine Rechtsgrundlage für diese Verfahrensweise.“

Die Sperrerklärung im Fall S. sei erlassen worden, weil er mehrfach vorbestraft sei und einer „einschlägig bekannten“ Szene angehöre, habe es zur Begründung geheißen, schreibt eine Soligruppe. S.’ Verteidigerin Studzinsky kritisierte damals diese Praxis scharf und sprach von einem „Geheimprozess“. Die Rechte der Verteidigung seien erheblich beschränkt und der Anspruch auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren verletzt.

Die Anonymisierung von Polizeizeugen ist kein Einzelfall. Bei einer Umfrage unter Anwälten zählte die Soligruppe 48 codierte Beamte in den vergangenen Jahren. „Wenn ein verdeckter Beamter etwa im Rotlichtmilieu ermittelt und seine Identität geschützt bleibt, kann man das diskutieren“, meint Lüko Becker, ein weiterer Anwalt von Christian S.. Allerdings sehe es so aus, „als ob die Ausnahme die Regel wird“.

„Solche Einzelfälle muss man durchziehen, weil die Polizei sonst ohne rechtliche Grundlage immer weiter ihre Befugnisse ausweiten kann“, sagt Christian S. Wenn es sein muss, will er bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen, um die Sperrerklärung aufheben zu lassen.

„Aus der Tatsache, dass 48 Codenummern bekannt geworden sind, kann man gar nichts schließen“, sagt Glietsch. Das Verfahren werde nicht öfter als früher angewendet, und es sei unproblematisch, weil die Rechte Dritter nicht beeinträchtigt würden. Jedes Verfahren unterliege der strengen Kontrolle durch Richter und Behörden. Betroffene könnten das Verwaltungsgericht anrufen, was ja auch geschehe.

„Es gibt gute Gründe dafür, dass Beamte in ihrer Arbeit geschützt werden“, so der Polizeipräsident. In der Vergangenheit seien in den Bereichen Links- und Rechtsextremismus, Terrorismus und organisierte Kriminalität nicht nur Drohkulissen aufgebaut, sondern auch Straftaten zum Nachteil von Polizeibeamten begangen worden. „Die Beamten können ihre Arbeit nicht fortsetzen, wenn Kriminelle und Extremisten die Möglichkeit haben, sie zu identifizieren“, sagt Berlins oberster Polizist: „Entweder machen wir unsere Arbeit, dann müssen wir die Beamten schützen. Oder wir codieren die Beamten nicht, dann können wir unseren gesetzlichen Auftrag nicht erfüllen.“

Auch die Berliner Grünen kritisieren diese Praxis. „Es kann nicht sein, dass Beamte im Dunkeln gelassen werden“, sagt der innenpolitische Sprecher Volker Ratzmann. Seine Fraktion wolle sich im Innenausschuss die Sachlage genau erklären lassen. Für Ratzmann ist „der Ruch der Geheimniskrämerei der Tod eines jeden demokratischen und rechtsstaatlichen Verfahrens“.