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PolitikAuf einen Snack mit dem Minister

Er steht auf Gangsta-Rap, Sneakers undgutes Essen. Und sitzt in Baden-Württemberg als Finanzminister gerne malauf dem Geld, statt es auszugeben. EinTag mit Danyal Bayaz, grüner Realo undSchützling von Winfried Kretschmann.

Finanzminister Danyal Bayaz in Rastatt. Foto: Jens Volle

Rastatt, Café am Schloss. Auf dem Teller liegt ein mächtiges Stück Schwarzwälder Kirschtorte, daneben eine Kugel Vanilleeis. Danyal Bayaz nimmt das Smartphone in die Hand und schießt ein Foto für Social Media. Dann widmet er seine Aufmerksamkeit den vier mittelständischen Unternehmern am Tisch. Ein Hemd schicker als das andere, eine Uhr teurer als die andere. Sie diskutieren über Finanzen und Steuern, über China und Arbeitskräftemangel.

Bayaz sitzt an der Spitze des Tisches. Der baden-württembergische Finanzminister, grünes Parteimitglied seit 2005, Hip-Hop-Fan seit seiner Jugend, hat Charme, in manchen Momenten sogar Humor. Politisch ist er ein Realo, sträubt sich vehement gegen eine Vermögensteuer, rote Zahlen im Haushalt will er mit allen Mitteln verhindern.

Von Wu-Tang Clanzu den Grünen

„Selam“, begrüßt Bayaz den jungen Inhaber der türkischen Bäckerei Anatoli im Rastatter Stadtzentrum. Ismail Melih Tuzlaci freut sich über den Besuch und über seine Gemeinsamkeit mit dem Minister: die türkischen Wurzeln. Bayaz‘ Großvater, ehemaliger Generalkonsul in Hamburg, war aus der Türkei nach Deutschland ausgewandert. Als der Rastatter Bäckereiinhaber von rassistischen Vorfällen in seiner Filiale erzählt, steht Bayaz lässig an den Stehtisch gelehnt, hört mit zusammengezogenen Augenbrauen und grimmigem Ausdruck zu. Er nickt nie. Als Bayaz 2017 in den Bundestag gewählt wurde, dachten Journalist:innen, er sei Migrationsexperte obwohl er „ja eigentlich Finanzpolitik machen wollte“, sagt er. „Da musste ich einsehen, dass es ein Teil von mir ist.“ Später – bereits im Amt in Baden-Württemberg – erlebte er selbst rassistische Anfeindungen. Nachdem er eine Meldeplattform für Steuerbetrug eingeführt hatte, oder als er und seine Frau die Geburt ihres Sohnes in den Sozialen Medien verkündeten: „Wer schwängert sowas?“, hat einer unter den Post geschrieben. „Ihr Mann und der ist Moslem“, „Das arme Kind“, hieß es da.

Im Jahr 2016 beschloss der gebürtige Heidelberger, für den Bundestag zu kandidieren. Damals wurde Donald Trump gerade Präsident der USA, in England tobte das Brexit-Referendum, in Deutschland stieg die AfD auf. „Das alles kann ich vom Spielfeldrand beobachten oder mich selbst einbringen“, habe er sich damals gedacht. Unterstützt wurde er von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, als dessen möglichen Nachfolger ihn heute manche sehen. Ebenfalls als solcher wird Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir aus Stuttgart gehandelt, ein Kumpel von Bayaz, und sein Trauzeuge im Juli 2022, als grüne Trauzeugen noch keinen Verdacht auf Vetternwirtschaft aufkommen ließen. Für Özdemir ist Bayaz ein „sehr guter Freund“. Einzig in Sachen VfB Stuttgart seien dessen Wissen und Leidenschaft ausbaufähig.

Bayaz brennt stattdessen für Basketball. Als 14-Jähriger spielte er beim USC Heidelberg und hing mit den in Heidelberg stationierten Amerikanern ab. Dabei hörten sie amerikanischen Hip-Hop. Vor allem: Wu-Tang Clan. Einst Fan einer Gruppe geprägt vom Gangsta-Rap der 1990er entscheidet Bayaz heute im schicken Anzug über Milliardenbeträge im Landeshaushalt. Doch der Wu-Tang Clan hat es damals schon gewusst: Cash Rules Everything Around Me („C.R.E.A.M.“) – Geld regiert alles um mich herum. Fragt man Bayaz danach, sagt er, Geld sei für ihn „ein Mittel zum Zweck“. Jahre später war er Praktikant bei den Investmentbankern von Goldman Sachs, ab 2013 hat er als Unternehmensberater für die Boston Consulting Group gearbeitet. Eine der Firmen, die Entlassungspläne ausarbeiten, wenn in Unternehmen die Rendite nicht mehr stimmt. Geld sei schon etwas Faszinierendes, sagt der Minister.

Jedoch sei es nie sein Antrieb gewesen, der komme von seinem Stolz auf dieses „großartige Land“ Baden-Württemberg. „Man kann hier in jedes Kaff fahren und findet ein bis zwei Hidden Champions.“ 120 dieser Hidden Champions hatten 2018 eine Unternehmerinitiative für ein Bleiberecht für geflüchtete Menschen mit einem festen Arbeits- oder Ausbildungsplatz initiiert. Angesichts seiner Unterstützung des jüngsten EU-Asyldeals dürfte sich Bayaz bei ihnen nicht gerade beliebt machen.

Dafür würdeer töten

In der türkischen Bäckerei isst er eine halbeBaklava. Dafür würde ich töten“, sagt er zumgrünen Landtagsabgeordneten Thomas Hentschel, der den Finanzminister in seinen Wahlkreis eingeladen hat. Am Tag zuvor hatte er inseiner Geburtsstadt einen Termin an der Universität, an diesem Morgen ging es weiter ansBunsen-Gymnasium, wo er auf der Bühne von den Schüler:innen befragt wird. „Pizza oderPasta?“ – „Ganz klar Pasta. Am liebsten Spaghetti aglio e olio.“

Mit Zuckerstreuseln verzierte Donuts gab es vor Kurzem bei der Geburtstagsfeier seinesSohnes. Fotos davon hat Bayaz in seiner Instagram-Story geteilt. Der Sohn wurde zwei Jahrealt und hat ein Laufrad bekommen. Sein Vaterbevorzugt das Auto – in einer schicken Mercedes-Karre fährt ihn sein persönlicher Fahrer meist von München nach Stuttgart und wieder zurück. In München lebt er mit seiner FrauKatharina Schulze, Fraktionsvorsitzende derGrünen im Bayerischen Landtag.

Kurz nach der Geburt seines Sohnes liebäugelte der gerade ernannte Finanzminister mit der Idee einer Elternzeit und entfachte damit eine hitzige Debatte. Mit „fest eingeplanten Freiräumen“ habe er es schließlich ohne berufliche Auszeit geschafft. Kürzlich sei sein Spotify-Algorithmus durcheinander gekommen, erzählt Bayaz: Der Sohn habe statt Hip-Hop lieber das Buslied hören wollen. „Die Wischer vom Bus machen wisch, wisch, wisch“, singt der Minister und demonstriert die Wischbewegungen mit den Armen.

Nach dem Termin am Gymnasium bestellt sich Bayaz im Restaurant des Heidelberger Tennisclubs eine Maracujaschorle und „irgendeinen Salat“. Er sei zehn Jahre lang Vegetarier gewesen, weil er während seines Zivildienstes in einem Krebsforschungszentrum bei den Experimenten mit Mäusen gemerkt habe, dass er kein Blut sehen könne. So habe ihn sein Interesse für Politik und Wirtschaft trotz der Faszination für Naturwissenschaften nach Hohenheim zum Kommunikationswissenschaftsstudium geführt. 2013 promovierte er dort zur „Bedeutung von Private Equity in Ökonomie und Öffentlichkeit“.

Während seiner Dissertation verbrachte er einen Forschungsaufenthalt in den USA, für die er bis heute eine besondere Vorliebe hat: Er sei ein „riesen Obama-Fan“ und bewundere den Inflation Reduction Act und die amerikanische Börsenaufsicht. Die war Vorbild, als die deutsche Finanzaufsicht Bafin 2021 nach dem Wirecard-Skandal mit weiteren Kompetenzen ausgestattet wurde. Als Mitglied des Wirecard-Untersuchungsausschusses machte sich Bayaz damals bundesweit einen Namen. Zudem war er ordentliches Mitglied im Finanzausschuss und stellvertretendes Mitglied im Haushaltsausschuss.

Mit gerade mal 37 Jahren ernannte ihn Winfried Kretschmann im Mai 2021 zum baden-württembergischen Finanzminister. Kretschmann habe damals „auf seine klassische schwäbische Art“ gesagt: „Du Danyal, i brauch einen neia Finanzminischdr.“ Das war der „schlechtestmögliche Zeitpunkt, in vier Wochen sollte meine Frau entbinden“, sagt Bayaz. Und eigentlich hatte er fest vor, erneut für den Bundestag zu kandidieren.

Nicht zur CDU, um die Omazu schockieren

Diese Geschichte wird er an diesem Tag drei Mal erzählen. Genauso wird er drei Mal seinen Stolz bekunden, dass das Land Baden-Württemberg nur noch in nachhaltige Finanzanlagen investiere. Die Letzten, die das an diesem heißen Junitag erfahren, sind die Gäste einer grünen Abendveranstaltung mit türkischen Sesamkringeln im Gaggenauer Unimog-Museum. Kurz vorher sitzt Bayaz auf dem Beifahrersitz in einem der vielen ausgestellten Unimogs für eine Probefahrt.

„Mit so einem Wagen könnte man das Parkplatzproblem in Stuttgart mühelos umgehen“, sagt Bayaz. „Einfach auf ein anderes Auto oben draufsetzen“, sagt er und kichert. Auch Hentschel, der neben ihm sitzt, lacht laut auf.

„50 Liter pro 100 Kilometer“, sagt der Fahrer, als sich Bayaz nach dem Spritverbrauch erkundigt – wohl aus grünem Pflichtgefühl. Dass er genau in der Partei gelandet ist, war alles andere als vorhersehbar. Seine Mutter stammte aus einer reinen CDU-Familie, deshalb „kam die CDU nicht infrage“, sagt Bayaz. „Und ich wollte die Oma ein bisschen schockieren.“ So ist er 2005 den Grünen beigetreten, auch weil ihm Fritz Kuhn, der ehemalige Stuttgarter Oberbürgermeister, imponierte und dessen Grundsatz, mit grünen Ideen schwarze Zahlen zu schreiben.

Im vergangenen Herbst sorgte der Heidelberger für Schlagzeilen, als er bei einer Abendveranstaltung in Los Angeles für einen Kasten Bier den Song „Blauer Schein“ des Heidelberger Rappers Torch performte, wenn auch etwas abgewandelt: „Das Vokabular von Geld kennt kein Nein. Und kennt ihr den Finanzminister? Auch er fiel auf mich rein.“ Äußerst smooth rappte der, wie er von sich selbst sagt, „überzeugte Marktwirtschaftler“ die kapitalismuskritischen Lyrics.

Bayaz ist ein gern gesehener Gast in Talkshows oder Podcasts. Seine Social-Media-Community fragt er mal nach Namensvorschlägen für die drei Vertreter der Fraktionen im Wirecard-Untersuchungsausschuss – neben ihm Fabio de Masi (Die Linke) und Florian Toncar (FDP). Die drei Musketiere, Bundestag Backstreet Boys oder doch die drei Fragezeichen? Wären sie die drei Fragezeichen gewesen, hätte Bayaz wahrscheinlich Justus Jonas verkörpert – der ist sein Lieblingsfragezeichen, sagt er. „Er hat die richtige Idee im richtigen Moment“, ein „kluger Kopf“ eben. Für manche allerdings auch ein Klugscheißer. Unbestritten hat die Figur Justus Jonas schauspielerisches Talent.

Auch Bayaz weiß sich zu inszenieren. Das Foto seiner Schwarzwälder Kirschtorte ist mittlerweile auf dem Weg in seine Insta-Story. Der Minister verschlingt genüsslich den letzten Bissen mit Vanilleeis. Und lobt die Kellnerin: „Die Torte war wirklich ausgezeichnet.“

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