Politik in der Krise: Sie sind Schweinehunde

Die Corona-Impfgegner stellen die Machtfrage, die Regierenden versagen vor ihrer historischen Pflicht – und Wolf Biermann hat Recht.

Graffiti eines Impfgegners Foto: dpa

Von UDO KNAPP

Wie schon sein ganzes Leben gehört Wolf Biermann auch als alter weiser Mann zu denen, die rücksichtslos gegenüber sich selbst, Bürgern und politischen Eliten sagen, was Sache ist. Seit Montag, 15. November 2021, ist er 85, herzlichen Glückwunsch.

Im Moment leidet Biermann daran, dass es den immer noch 30 Prozent Ungeimpften und ihrem intellektuellen Hinterland in den offiziellen und sozialen Medien gelingt, die große Mehrheit aller Bürgern als Geiseln zu nehmen in ihrem Kampf gegen die legitime Herrschaft der Gesetze im demokratischen Rechtsstaat.

Wie kann ich heute in diesem wiedervereinigten Deutschland leben mit all den fatalen Unglücksidioten? Sie verachten Demokratie im Namen der Demokratie, die Freiheit im Namen der Freiheit. Und ihr Maulheldentum kostet sie in der Freiheit überhaupt nichts. Die diffamieren Deutschland als eine Merkel-Diktatur! Und schimpfen uns eine „DDR2.0“ mit dem Meinungsmonopol einer Lügenpresse. Das macht mich kaputt! Ich krepier' an diesen Kanaillen. (…) Sie sind klügelnde Klugscheißer, die unsere Demokratie im wiedervereinigten Vaterland jetzt eine Diktatur nennen. (…) (Sie) sind junge Esel oder alte Schweinehunde.“

Wolf Biermann in Die Welt vom 7. November 2021

Er leidet daran, dass es den Ungeimpften gelingt, die Kinder in den Schulen, die Studenten in den Universitäten, die Alten in den Pflegesystemen und in den Krankenhäusern, die Bürger, die wegen lebensbedrohender Krankheiten jenseits von Corona um ihr Leben ringen, die Ärzte und Pfleger in ihrem aufreibenden Job, alle diese Menschen zu benutzen, um den demokratischen Staat als schwach und hilflos bloßzustellen und seine Pflicht zu delegitimieren, die körperliche Unversehrtheit aller seiner Bürger zu garantieren.

Impfgegner sind Staatsfeinde

Sollen sie halt sterben, wenn sie sich diesem Staatsregime der verlogenen, freiheitsfeindlichen Impferei unterwerfen. Wenn sie dieses Regierungshandeln decken, dann sind sie selbst daran schuld, wenn sie daran zugrunde gehen – so ist es an ihren Werbeständen gegen das Impfen vor dem DM oder Edeka zu hören.

Die Impfgegner verbreiten bewusst entstellende Lügen über wissenschaftlich valide belegte Tatsachen zu Corona; sie organisieren systematisch das Verbreiten von haarsträubenden Verschwörungstheorien; sie bedrohen in den sozialen Medien Wissenschaftler und Politiker mit dem Tod, die die Tatsachen sachlich erläutern. Seit einigen Wochen gehen sie bei Demonstrationen regelmäßig gewalttätig gegen die Polizei vor; sie werden handgreiflich gegen Ärzte, in deren Praxen geimpft wird.

Viele der Impfverweigerer leben seit Jahren unbehelligt und wohlwollend toleriert von der bürgerlichen Öffentlichkeit in ihren alternativen, esoterischen Parallelwelten. Diese Parallelwelten dienen jetzt als taktisches Hinterland, als Basis einer tiefen Vernetzung quer durch die Gesellschaft, sie sichern ihr ideologisches Rückgrat. Die Impfgegner und ihre Parallelwelten erweisen sich als anschlussfähig für viele offen rechtsradikale Strömungen und Parteien.

Die Impfgegner und die Impfverweigerer sind, anders als fälschlich in der Öffentlichkeit kommuniziert, keine im Grunde sympathischen, aber leider etwas verirrten Bürger, die nur falsch informiert und deshalb noch nicht über die wirklichen Zusammenhänge der Pandemie aufgeklärt sind. Nein, sie sind, wie Biermann feststellt, „alte Schweinehunde“, sie sind Staatsfeinde, die in voller Absicht an unseliges deutsches demokratiefeindliches Denken und Handeln anknüpfen.

Die Corona-Politik ist unprofessionell und unverantwortlich

Die Corona-Politik der alten und der zukünftigen Bundesregierung ist unprofessionell, der tatsächlichen Bedrohungslage unverantwortlich unangemessen – wir haben die höchsten Inzidenzen seit Beginn der Pandemie vor zwei Jahren und schnell steigende Todeszahlen. Diese Politik kann, ohne Polemik, als ein chaotisches Durcheinander unabgestimmter, zentraler und föderaler Anti-Corona-Maßnahmen beschrieben werden.

2G, 3G, 3G plus, hier so und dort ganz anders; das heute kostenlose, morgen kostenpflichtige und dann wieder kostenlose Testen; das praktisch kaum durchzuführende Testgebot für alle Pflegeberufe mit den dazu gehörenden Dokumentationspflichten; das faktische Verbot, Ungeimpfte von der Pflegearbeit freizustellen, was eine erhöhte Gefährdung der zu Pflegenden zur Folge hat; das Auf und Ab der Masken in den Schulen; erst die Schließung der Impfzentren; dann die Erklärung der Hausärzte, dass sie das Durchimpfen nicht sicherstellen könnten; jetzt das halbe Wiederhochfahren der Impfzentren; das grundsätzliche Verbot von Lockdowns im Gesetzentwurf der Ampel und die Ankündigung von Lockdowns für Ungeimpfte in Sachsen; die Unfähigkeit der Ordnungskräfte, 2G im öffentlichen Raum flächendeckend und ernsthaft zu kontrollieren und die Ankündigung der Ampel-Regierung in spe, dass im Frühjahr 2022 ohnehin alle Einschränkungen aufgehoben werden sollen; das Ignorieren der Ratschläge von Leopoldina und vielen anderen, endlich wenigstens eine partielle Impfpflicht gesetzlich auf den Weg zu bringen – all das und vieles Unbeschreibliches mehr hat dazu geführt, dass die reale Bedrohung der vierten Welle von zu vielen Menschen immer weniger ernst genommen wird.

Biermanns Warnung ist ernst zu nehmen

Aber noch fataler ist es, dass die Impfgegner und ihre Verbündeten dieses chaotische Regierungshandeln als Bestätigung ihrer Haltung und als Erweiterung ihres Handlungsrahmens und ihrer Siegchancen begreifen können. Die rechtsfreien Räume wachsen, in denen der politisch gewollte Schutz vor Corona nicht durchgesetzt wird. So erodiert die gesellschaftsbindende Kraft des gesellschaftlichen Wir, die Legitimität der demokratischen rechtsstaatlichen Ordnung in der Republik und der bisher unbestrittene Verfassungskonsens.

Die Impfgegner stellen die Machtfrage und die Regierenden zucken hilflos mit den Achseln und faseln von Freiheit und Freiwilligkeit. Sie versagen vor ihrer historischen Pflicht, die demokratische Ordnung auch im Moment ihrer höchsten Bedrohung entschlossen zu stabilisieren. Sie gefährden ohne Not die Zukunft des verfassungsfesten demokratischen Miteinander in der Republik. Die Vorstellung beunruhigt, mit einer solchen politischen Elite noch größere Zumutungen als die Corona-Pandemie bewältigen zu müssen.

Wolf Biermanns Warnung vor den Kanaillen, den alten Schweinehunden ist sehr ernst zu nehmen. Biermann hat den größen Teil seines Lebens in zwei furchtbaren deutschen Diktaturen verbracht. In beiden hat er gelitten, aber beide hat er mutig streitend und widerstehend überlebt. Sein Leben und seine Lieder sind Verpflichtung.

UDO KNAPP ist Politologe und schreibt für taz FUTURZWEI regelmäßig einen Kommentar.

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