Polit-Krimi: So sind sie eben im Bundestag
Finstere Konzernbosse und skrupellose Politiker: Rezzo Schlauch vergleicht Wolfgang Schorlaus Krimi "Fremde Wasser" mit Erfahrungen in Politik und Wirtschaft.
Staat oder Markt, wer kann es besser? Vorteil Markt, hieß es ein Jahrzehnt lang in diesem weltpolitischen Dauermatch. Heute steht es Unentschieden. Ganz ohne Regeln richtet der global gewordene Kapitalismus Schlimmes an: Er vertieft den Graben zwischen Arm und Reich. Er zerstört gesunde Unternehmen, weil maßlose Anleger absurd hohe Renditen fordern. Und er verursacht den Klimawandel, das "größte Marktversagen der Geschichte", wie der Weltbankökonom Nicolas Stern es genannt hat. All das missfällt nicht mehr nur G8-Protestlern. Die Privatisierung von traditionell öffentlichen Aufgaben ist ins Stocken geraten, der alte konservative Kämpe Heiner Geissler springt über die Barrikaden und wird Attac-Mitglied.
Öffentliche Daseinsvorsorge als Thema eines Krimis? Muss das nicht schief gehen? Nicht im Krimi "Fremde Wasser" von Wolfgang Schorlau. In diesem Buch geht das Kapital buchstäblich über Leichen. Zunächst ist eine widerspenstige Abgeordnete dran, später beinahe der Privatdetektiv selbst, und wenn es nach dem Oberschurken ginge, wäre auch ein kleines Massaker in Bolivien im Sinne der Rendite durchaus willkommen. Doch nicht nur die Wirtschaftslenker sind bei Schorlau von finsteren Motiven getrieben. In "Fremde Wasser", dem dritten politischen Kriminalroman um den Stuttgarter Privatschnüffler Georg Dengler, tummeln sich außerdem zwielichtige Mediziner, osteuropäische Mädchenhändler, rätselhafte Business Consultants, skrupellose Lobbyisten und korrupte Politiker.
So spannend hat man Globalisierungskritik noch selten bekommen - und das in einem "Stuttgart-Krimi". Keine Spur vom Provinzmief, der so viele Regionalkrimis durchzieht, statt dessen ein brisantes politisches Thema, Milieus aus allen Etagen der Gesellschaft, faktenreich und spannend erzählt. Tod im Bundestag, so geht es los. Und früher als der sinnkriselnde Detektiv Dengler ahnt man: Es geht um das Geschäft mit der privatisierten Wasserversorgung, das in vielen Kommunen und Ländern weltweit schon für Diskussionen gesorgt hat. Viele der im Buch beschriebenen Sachverhalte und Geschehnisse sind dabei real.
Schorlaus politischer Blick auf das Wassergeschäft ist dabei eindeutig und einseitig: die Privatisierung dient ausschließlich den Gewinninteressen der Konzerne, ihre Durchsetzung ist ein schmutziges Geschäft, alle Argumente dafür sind und waren Scheinargumente. Im Nachwort schreibt der Autor, an seiner Schilderung der Welt "hinter den Kulissen der Macht" sei "verdammt wenig erfunden". Messen wir ihn also auch an diesem Anspruch. Er scheint die Energiemanager, Fraktionsvorsitzenden und Lobbyisten der realen Republik für ziemlich finstere Gesellen zu halten.
Abgeordnete und Stadträte sind käuflich, ohne Rückgrat, von gegenseitigem Hass getrieben. Als eine Abgeordnete im Bundestag am Rednerpult kreidebleich zusammenbricht, hört sie noch die hämische Bemerkung eines Kollegen, da habe "mal wieder jemand zu viel gesoffen". So sind sie halt im Bundestag. Fraktionsvorsitzenden traut man hier ohne weiteres zu, bei der Vertuschung des Mordes an einer Kollegin zu assistieren. Noch schlimmer trifft es allerdings die Topetagen der Wirtschaft. Auch hier artikuliert Schorlau den Zeitgeist, denn vorbei ist das Jahrzehnt, in dem "die Wirtschaft" noch für sinnvolles und vorwärtsgerichtetes Handeln jenseits der Gremienzwänge der Politik stand. Nachdem eine Bürgerinitiative die Pläne von Energiemanager "Crommschröder" (schon im Namen die personifizierte Fusion aus Kapital und Politik) gestoppt hat und die Kapitalrendite seiner Abteilung unter zehn Prozent gefallen ist, geht er unverzüglich zu seiner Geliebten, vergewaltigt sie und bringt sich damit in Stimmung für den Anruf bei einem Killer, den ihm der Konzernbeauftragte für politische Kommunikation empfohlen hat. Ansage: Töten für den Profit! So geht es wohl zu, bei "denen da oben".
Verdammt nah an der Realität? Nach meinen langjährigen Erfahrungen im Bundestag und nun im Beirat eines großen Energiekonzerns muss ich sagen: Milieubeschreibung eher klischeehaft und ressentiment-getrieben, Charakterzeichnung grobkörnig. Andererseits: Angesichts der größten Kapitalvernichtung der Menschheit in Stuttgarts Vorzeigekonzern Daimler oder angesichts der atemberaubenden Skandale bei VW und Siemens muss man sich nicht wundern, dass die Politiker die Rolle als Prügelknaben der Nation an die Manager abgegeben haben. Ich gestehe: Angesichts der höhnischen Rhetorik, mit welcher die Wirtschaft die Politik in den Neunzigern überzogen hat, habe ich wenig Mitleid.
Das Heranwachsen des Bösewichts in der Stuttgarter Bürgerkinderszene schildert Schorlau allerdings tatsächlich nah an der Realität des Milieus. Nachdem der spätere Manager die vom Elternhaus eingeprägte Leistungsethik zunächst in einem elitären marxistischen Lesezirkel der 70er Jahre auslebt, wo er schon lernt, dass es nur auf den Tausch-, nie auf den Gebrauchswert einer Ware ankommt, steigt er bei stockender akademischer Karriere in die Wirtschaft ein. Dort nimmt sein bürgerlich-individualistischer Ehrgeiz überhand, die als Schwäche empfundene Mitmenschlichkeit wird besiegt, ein kalter Profitmaximierer und Karrierist entwickelt sich. Hier ist längst nicht alles kriminalliterarisch übertrieben.
Bei Eigennutz von derartigem Kaliber reicht keine "unsichtbare Hand" mehr, daraus einen gesellschaftlichen Gesamtnutzen hervorzuzaubern. Soll der Staat also Leistungen der Daseinsvorsorge in die Hand von gewinnorientierten Privatunternehmen legen? In der Weltsicht des Autors und der privatisierungskritischen Bürgerinitiativen, auf deren Recherchen er vorwiegend zurückgreift, ist die Antwort ohne Zögern negativ. Die komplizierten Abwägungen, mit denen sich die Politik seit den 90er Jahren und bis heute herumschlägt, fallen allerdings unter den Tisch.
Die Privatisierungseuphorie der 90er ist heute stark gedämpft. Zwar würde kaum jemand bezweifeln, dass Telefonieren heute billiger und besser geht, selbst Attac-Mitglieder wünschen sich wohl kaum einen konkurrenzlosen Staatsbetrieb für Festnetz, Internet und Mobiltelefon zurück. Auch die viel geschmähten Stromkonzerne stehen bei genauerem Hinsehen so schlecht nicht da. Sie werden durch die EU-Kommission und Bundesnetzagentur gut in Schach gehalten. Selbst wer sie heute kritisiert, ruft in der Regel nicht nach Verstaatlichung, sondern nach mehr Markt, mehr Netzzugang, mehr dezentralem - zum Beispiel atomkraftfreien - Ökostrom. Aber wie steht es mit Privatisierung und Börsengang der Bahn, dem Verkauf kommunaler Wohnungen, privaten Sicherheits- oder Militärdienstleistern oder der Privatisierung der Gerichtsvollzieher?
"Fremde Wasser" war für mich auch deshalb so interessant, weil ich selbst als aktiver Politiker in dieser Debatte einmal zwischen die Fronten geraten bin. Denn auch im Wasserbereich versprach man sich in den 90ern viel von Privatisierung und Liberalisierung. Natürlich ging es der Politik nie darum, Konzerne zu bereichern. Vielfach gab es Probleme mit den vorhandenen öffentlichen Strukturen. Wer kein Brett vor dem Kopf hat, was auf beiden Seiten der Auseinandersetzung vorkommen soll, der prüft eben auch die Chancen der Verbesserung durch private Investitionen. Als ich mich Ende der Neunziger Jahre für eine solche unideologische Prüfung auch im Wasserbereich aussprach, geriet ich in meinem eigenen Laden und noch viel mehr bei den Aktivisten von Außen schnell ins Kreuzfeuer. Das Label des Neoliberalen genügte nicht, ich war plötzlich ein "Radikalliberalisierer".
Völlig unabhängig von diesem Scharmützel habe ich mich dann im Zuge der anstehenden Privatisierung der Wasserversorgung der Stadt Stuttgart mit dieser Materie näher beschäftigt. Im Laufe einer sehr kontroversen lokalen innerparteilichen Diskussion habe ich meine eher privatisierungsfreundliche Position in der Wasserfrage geändert. Die damals anstehenden, windigen "Cross-Border-Leasing" Konstruktionen sind denn in Stuttgart auch gescheitert.
Weltweit sind die Erfahrungen mit der Wasser-Privatisierung zwiespältig. Wo überhaupt keine Wassersysteme vorhanden sind, lassen sich private Investoren kaum blicken, da die Gewinnspanne nicht hoch ist. Die Privatisierung vorhandener Systeme hat in vielen Regionen dazu geführt, dass sich die Versorgung verschlechtert hat. Den Fall des Wasseraufstandes von Cochabamba in Bolivien baut Schorlau in seine Geschichte ein. Es ist nicht der einzige Fall solcher Aufstände geblieben. Aus gutem Grund liegt die moderne Wasserver- und -entsorgung weltweit auch heute zu 95 Prozent in öffentlicher Hand. Hoffentlich hetzt mir nun niemand einen Giftmischer auf den Hals.
"Fremde Wasser" schildert ein Szenario, in dem der Investor die schlimmstmögliche Gestalt hat und die Politik ihrer Verantwortung für die öffentliche Daseinsvorsorge nicht nachkommt, frei nach dem - von Schorlau zitierten - Diktum Dürrenmatts, nach dem eine Geschichte erst zuende erzählt ist, nachdem sie die schlimmstmögliche Wendung genommen hat.
Worst-Case-Szenarien muss man nun nicht als Eins-zu-Eins Darstellung der Realität nehmen. Unterhaltsamer und spannender als der glimpfliche Verlauf sind sie aber allemal. Und wer nun glaubt, hier sei schon zu viel über das "Whodunnit" des Krimis verraten worden, dem sei versichert: Schorlaus Story nimmt noch einige andere üble Wendungen. Denn plötzlich wird Denglers Freundin Olga, eine osteuropäische Nobel-Diebin, von ihrer Vergangenheit eingeholt. Und in Denglers Wohnung geschieht ein weiterer grausiger Mord.
Rezzo Schlauch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!