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Archiv-Artikel

Polen will einen Neuanfang KOMMENTAR VON GABRIELE LESSER

Polen sind gute Europäer. Das haben sie bei den Wahlen gezeigt. Nur 1989 beim Übergang vom Realsozialismus zur Demokratie war die Wahlbeteiligung höher. Sie erteilten der nationalkonservativen Kaczyński-Regierung eine scharfe Abfuhr, auch weil sie sich nicht mehr für die grauenhaft schlechte Außenpolitik schämen wollen. Nach nur zwei Jahren „harter Interessenvertretung“ liegt Polen mit fast allen Nachbarn im Streit. Die meisten Polen aber wollen auf gar keinen Fall länger als die „Irren von der Weichsel“ gelten.

Donald Tusk ist der richtige Mann für einen Neuanfang. Vor zwei Jahren verlor er die Wahlen, weil er den Vorwurf der angeblich „zu großen Deutschlandfreundlichkeit“ nicht parieren konnte. Diesmal aber stach die antideutsche Karte nicht. Tusk nämlich bekannte sich völlig offen dazu, dass er die Deutschen möge, so wie er auch die Tschechen möge, die Slowaken, die Briten und die Russen. Er wird nun einen bewusst proeuropäischen Kurs einschlagen und versuchen, mit allen Nachbarn wieder freundschaftliche Beziehungen aufzubauen. Der politische Stil wird sich ändern. An die Stelle des aggressiv um sich beißenden Bullterriers wird ein geschickt verhandelnder polnischer Staatsmann treten.

Auch die Politikinhalte werden sich ändern – mittel- oder gar längerfristig. Denn zunächst müssen Tusk und seine Mannschaft den außenpolitischen Problemberg abarbeiten, den ihnen die PiS-Regierung hinterlassen hat. Ob sie gleich in der Lage sein werden, in strittigen Fragen neue Lösungsansätze vorzuschlagen, ist eher unwahrscheinlich. Aber zumindest beim Projekt der umstrittenen deutsch-russischen Gaspipeline ist bereits eine Abkehr vom strikten „Nein“ der Vorgängerregierung festzustellen.

Die Partner Polens in Europa und Übersee sollten der neuen polnischen Regierung ein bisschen Zeit geben. Und dabei nicht erwarten, dass mit Tusk als neuem Premier Polens alles automatisch „wieder gut“ würde und man zum business as usual zurückkehren könnte. Die ungelösten Probleme warten ja nicht nur auf Tusk, sondern auf viele Politiker in der EU und den USA, insbesondere aber auf die Regierungschefs in Deutschland und Russland. Für ein „Halleluja“ ist es also zu früh.