Plädoyer für eine plurale Bildungslandschaft: Entstaatlicht die Schulen!
Als Monopolist hat der Staat seine Unfähigkeit bewiesen, gute Schulen zu betreiben. Private Träger könnten die Bildungslandschaft bereichern.
Mit seinem Vorschlag in Deutschland türkischsprachige Schulen einzurichten, hat Tayyip Erdogan eine bildungspolitische Grundsatzdiskussion losgetreten. Der zentrale Punkt der in der Debatte gegen den türkischen Ministerpräsidenten angeführt wurde: Helfen türkischsprachige Schulen bei der Integration oder sind sie kontraproduktiv? Gern wird eine drohende Ghettoisierung an die Wand gemalt.
Dabei ist besonders spannend zu beobachten, dass die Ghettoisierung erst durch die türkischsprachigen Schulen drohe - statt einmal zur Kenntnis zu nehmen, dass diese längst da ist. Schon jetzt gibt es nicht nur in Berlin-Neukölln oder München-Hasenbergl oder Hamburg-Wilhelmsburg Klassen und ganze Schulen, in denen kaum ein Kind zu Hause Deutsch spricht. In diesen Brennpunkten gehen 40 Prozent der Hauptschüler ohne Abschluss von der Schule. Das sind Tatsachen, die der Fiktion einer staatlich verbindlichen Einheitsschule geopfert werden. Erdogan wird öffentlich für etwas verprügelt - was wir stillschweigend längst zulassen: Türkenschulen.
Bildungsinteressierte Eltern, die alles unternehmen, ihren Kindern den Gang in solche Anstalten zu ersparen, werden gern abschätzig als unsolidarisch gebrandmarkt. Jedenfalls so lange, bis man selbst in die Situation kommt, sein Kind in eine dieser Ghettoschulen schicken zu müssen. Im multikulturellen Stadtteil regelt der Staat eben auch die Zuteilung der Schüler per Einzugsgebiet. In der heimlichen Flucht mancher Eltern zeigt sich das Spiegelbild der Ghettoisierung - die Elitebildung an Spezial- oder Privatschulen. Wahrscheinlich hat wenig dem "linken" Wahlkampf von Andrea Ypsilanti in Hessen mehr geschadet, wie der von ihr verschämt behandelte Umstand, dass sie ihren Sohn auf eine "Privatschule" schickt.
Nach den Pisa-Studien zogen linke Pädagogik-Engagierte besonders gegen das dreigliedrige Schulsystem zu Felde. Diese Kritik an der äußeren Homogenisierung der Lerngruppen durch die Einteilung der Kinder nach ihren vermeintlichen Begabungen ist berechtigt - folgt sie doch wundersamer Weise stets dem sozialen Status der Eltern. Die Alternative allerdings wird gern bunt ausgemalt als die Idee einer staatlichen Einheitsschule für alle. Es gehört jedoch keine hellseherische Gabe dazu vorherzusagen: Die bloße Abschaffung von Hauptschulen und Gymnasien wird keines der Probleme lösen. Vielleicht wird es eine Nivellierung geben, aber diese wird nicht mit einem steigenden, sondern einem sinkenden Leistungsniveau verbunden sein. Dass Sozialkompetenz einfach dadurch gestärkt wird, dass man ehemalige Gymnasiasten mit ehemaligen Hauptschülern zusammensperrt, ist eine geradezu fahrlässige Illusion.
Statt weiter auf Homogenisierung zu setzten, wäre es an der Zeit, an eine Alternative zu denken: Die Pluralisierung des Schulsystems ernsthaft voranzutreiben. Dazu muss kein Modell neu erfunden werden. Alles ist schon da, und zwar nicht in Finnland, sondern hier in Deutschland. Es gibt Schulen in freier Trägerschaft, und sie werden beinahe täglich mehr.
Die spannendsten pädagogischen Konzepte werden an Schulen in freier Trägerschaft gelebt, nur selten an staatlichen Schulen. Dass Schulen in freier Trägerschaft Einrichtungen für die Schönen und Reichen seien, ist eine von Linken hartnäckig behauptete, aber empirisch widerlegte Mär. Allerdings stimmt es, dass es bildungsinteressierte Eltern (mit und ohne Geld, mit und ohne Migrationshintergrund, mit und ohne Religion) sind, die ihre Kinder auf Einrichtungen schicken, die Geld kosten und für die man sich selbst anmelden muss. Der Vorwurf, dass es sich um elitäre, weil schulgeldpflichtige Privatschulen handele, ist aber deshalb infam, weil es der Staat in Gestalt der Bundesländer ist, der diesen Schulen in freier Trägerschaft die vollständige Refinanzierung verweigert - und so den größten Vorwurf gegen "Privatschulen", die Schulgeldpflicht, selbst produziert.
Dabei gibt es längst ein Modell für das Nebeneinander staatlicher und privater Bildungseinrichtungen: Die Kindergärten, die häufig, in manchen Kommunen sogar ganz in freier Trägerschaft sind. Niemand spricht hier von "privaten" Kindergärten. Der Staat nimmt über Bildungspläne, Sprachstandsuntersuchungen, Ausbildungsvorschriften des Personals und Gesundheitsauflagen auf alle Kitas Einfluss - ohne dass er selbst Träger der Einrichtungen sein muss. Da für alle Kindergärten annähernd die gleichen Beiträge gelten, müssen Eltern ihre Wahl nicht nach dem Geld treffen. Sie tun es nach anderen Gesichtspunkten. Ob sie eine konfessionelle Kita wünschen oder einen Waldkindergarten oder ob sie eine Unterbringung bis 22 Uhr brauchen.
Sobald man in Deutschland ins Schulalter kommt, betritt man eine andere Welt. Staatliche Schulen sind kostenlos, Schulen in freier Trägerschaft nehmen Schulgeld. Der gesellschaftliche und pädagogische Preis, den wir dafür zahlen ist hoch. Weder fördert das System der staatlichen Schule noch belohnt es Innovationen. Staatliche Schulen können sich etwa in aller Regel ihr Personal nicht aussuchen, sondern bekommen es vom Kreisschulamt zugewiesen. Man muss nur einen beliebigen Lehrer fragen, was für seltsame Blüten allein diese Praxis hervorbringt. Eines der größten Hindernisse für gute Schule ist heute die planwirtschaftliche Personalpolitik.
Die Frage ist also nicht, ob türkischsprachige Schulen die Ghettoisierung schaffen. Die Ghettoisierung ist vielmehr schon da, und die staatliche Einheitsschule ist in der pluralen Gesellschaft die denkbar ungeeignetste Antwort auf das Dilemma. Denn sie stellt ihr Versagen täglich neu unter Beweis. Ob jedes der pluralen Schulkonzepte seine Sache besser macht, sei damit nicht behauptet. Aber dass man es noch schlechter kaum machen kann, das scheint offensichtlich. Insofern lohnen hier pädagogische Experimente, nur dann kann man sehen, welche Konzepte tatsächlich tragfähiger sind als andere.
Statt Privatschulen zu verteufeln, gilt es öffentliche Schulen in unterschiedlicher Trägerschaft mit unterschiedlichsten pädagogischen Konzepten zu etablieren. Schulen sollten sich tatsächlich durch ihre pädagogischen Konzepte auszeichnen - als Schulen mit Türkisch als erster Sprache oder Montessori-Schulen oder konfessionelle Schulen oder Waldschulen oder was auch immer. Das muss den Staat als Träger mancher Schulen gar nicht ausschließen. Aber es sollten gleiche Bedingungen für alle Anbieter gelten - damit alle Eltern die besten Schulen für ihre Kinder aussuchen können.
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