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Archiv-Artikel

Philosophisches Experiment auf Kampnagel widmet sich unseren alltäglich-zweifelhaften Leistungskriterien Faulheit wird förderfähig

Was genau fault, wenn ein Mensch faul ist? „Nichts“, sagt Bernhard Schleiser. „Obst kann faulen oder das Fleisch eines Leprakranken, aber ein Mensch als Persönlichkeit nicht.“ Der Ausdruck „du bist faul“ ist in den Augen des Experimentalphilosophen der Gruppe DREI, die sich jetzt wieder auf Kampnagel präsentiert, eine Art von Diskriminierung. „In unserer Gesellschaft bedeutet Faulheit das Gegenteil von Geld bringender Leistung“, fügt sein Kollege Christian Gefert hinzu. Die fleißigen Lohnerwerber stehen dem viel zitierten „Heer der Arbeitslosen“ gegenüber, und die sind in der Gegensatzlogik der Agenda 2010 zwangsläufig faul.

In Wirklichkeit stimmt diese Gleichung nicht. Faulheit verhält sich zu Arbeitslosigkeit nicht wie Leistung zur Erwerbsarbeit. Denn den Arbeitslosen ist die Erwerbstätigkeit aus strukturellen Gründen nicht erlaubt. Nicht ihre Faulheit, sondern die Logik der Leistungsgesellschaft schließt sie aus. Die DREI wollen mit ihrem neuen philosophischen Experiment „Klärwerk 2010 – Kanalisation des Sozialen: Kanal Faulheit: Marx/Diogenes“ heute Abend auf Kampnagel zeigen, dass „Faulheit und Leistung nur zwei Seiten einer Medaille sind“, sagt die dritte experimentierfreudige Philosophin, Heidi Salaverria. „Eins kippt ins andere.“ Es bestehe ein Ungleichgewicht zwischen denjenigen, die schufteten bis zum Herzinfarkt, wie auf der Flucht vor dem Stigma Faulheit, und denjenigen, die aufgrund dessen, dass die anderen wie wild arbeiten, keinen Platz im Leistungssystem abbekämen.

Die DREI wollen in ihrem Klärwerkexperiment die Faulheit neu bewerten, angefangen mit dem Stehgreifspiel. „Da schlüpfen wir in die Rollen Karl Marx‘ und des antiken Philosophen Diogenes, zitieren sie und spinnen ihre Gedanken weiter“, sagt Christian Gefert. Denn mit bestechender Logik hat Marx die gesellschaftlichen Verhältnisse anhand der Kategorie Erwerbsarbeit zu erklären versucht, mit dem Bestreben, sie in der klassenlosen Gesellschaft aufzuheben. Irgendwann, so Marx, wird der ausgebeutete Arbeiter sich seiner Position bewusst: „Ich bin nichts, und ich müsste alles sein“, werde er dann denken und sich gegen die ökonomischen Verhältnisse zur Wehr setzen. „Ähnlich den Montagsdemonstrationen als Reaktion auf Hartz IV“, sagt Bernhard Schleiser, „wo die Betroffenen sehr aktiv und überhaupt nicht faul waren“. Faul, wohlgemerkt im heutigen Sinne. Denn bei Marx ist Faulheit das Privileg der Bourgeoisie, langfristig erstrebenswert für alle Menschen.

Auch Diogenes war im positiven Sinne faul. Der Mann in der Tonne reflektierte und kommentierte die Verhältnisse im antiken Athen mit der Muße des souveränen Außenseiters. Er lebte seinen Mitbürgern die Bedürfnislosigkeit vor und erhob sie zu einer Tugend. Ein Aussteiger, würde man heute sagen, autark, viel beachtet und stolz. Als Alexander der Große ihn einmal fragte, was er benötige, soll Diogenes geantwortet haben: „Jetzt geh mir aus der Sonne.“

Vordergründig faul war der Sohn eines kriminellen Bankers also als Kritiker höchst produktiv und hatte seinen Platz in seiner Gesellschaft, obwohl seine Tätigkeit keine materielle Rendite abwarf. Ein eigens für diese Veranstaltung produzierter Kurzfilm von Jasper Wu Laudenbach soll zeigen, wie soziale Ausgrenzung funktioniert, warum also Diogenes heute wohl schräg angeschaut würde. In satirischer Wendung der Anträge zum Arbeitslosengeld II wollen die DREI die Faulheit fördern. „Wir verteilen Anträge zur Faulheitsförderung“, erklärt Heidi Salaverria. „Die Zuschauer bilden Bedarfsgemeinschaften und füllen die Bögen aus, wir bearbeiten sie behördlich nach rein subjektiven Kriterien.“ Die Zuschauer beantragen, dass die DREI ihnen eine bestimmte Arbeit abnehmen, während sie selbst dem Müßiggang frönen. „Wenn der Antrag durchkommt, dann machen wir das“, so Christian Gefert. Die DREI waschen dann zum Beispiel bei einem Antragsteller ab, während der auf dem Sofa döst. „Das wird gefilmt, und diese Filme im zweiten Teil der Klärwerkveranstaltung in einem Monat gezeigt.“

Katrin Jäger

„Klärwerk 2010 – Kanalisation des Sozialen: Kanal Faulheit: Marx/Diogenes“. Teil 1: 24.2., 20 Uhr, Teil 2: 24.3., 20 Uhr, Kampnagel