Philip Morris sucht Kontakt zu Marlboro-Boykotteuren

Image in Gefahr: Zigarettenkonzern entsendet Unterhändler an „Act-up“-Gruppen, die ihm das Sponsorn eines schwulenhassenden US-Senators vorwerfen  ■ Von Marc Fest

Armer Marlboro-Mann: Millionen von Schwulen strafen ihn zur Zeit mit Liebesentzug, indem sie seinen Glimmstengel (Länge: 8,2 cm, Nikotin: 0,9 mg, Teer: 13 mg) nicht mehr anrühren. Seit April rufen die Aids-Aktionsgruppen „Act up“ weltweit zum Boykott der meistverkauften Zigarette der Welt auf, damit deren Herstellerfirma Philip Morris die Unterstützung für den republikanischen US-Senator Jesse Helms einstellt. Der 69jährige Politiker wird von Philip Morris finanziert, weil sein Heimatstaat North Carolina das Zentrum der nordamerikanischen Tabakindustrie ist. Südstaatler Helms, seit 1973 im Amt und erst kürzlich mit 53 Prozent Sieger über den schwarzen Demokraten Harvey Gannt, ist seit Jahrzehnten als einer der einflußreichsten Schwulenhasser in den Vereinigten Staaten bekannt.

Für Helms sind Schwule „disgusting people“, ekelhafte Menschen. Der Erzreaktionär sorgte 1987 für das sogenannte Helms-Amendment, einen Verfassungszusatz, der die staatliche Finanzierung von Aids- Aufklärungsmaßnahmen verbietet, wenn diese das Schwulsein als gleichberechtigten Lebensstil darstellen. Auch die gesetzlich vorgeschriebenen Aids-Tests für Immigranten und eine Kampagne gegen die „Verherrlichung obszöner Lebensstile in der Kunst“ (der eine Mapplethorpe-Ausstellung zum Opfer fiel) gehen auf das Konto des Abtreibungsgegners und Contra- Freundes Helms.

Philip Morris, der 140 Jahre alte Tabakkonzern (Umsatz 1989: 45 Milliarden Dollar) sorgt sich um sein Image. Nicht ohne Grund, denn in vielen schwulen Szeneläden ist Marlboro, die Fluppe mit dem Machotouch, schon aus den Automaten verbannt. Eine Verringerung des Marktanteils um nur ein Prozent würde allein in den USA eine Umsatzeinbuße von einer Viertel Milliarde US-Dollar bedeuten. Zudem ist die ursprünglich rein schwule Protestwelle inzwischen auch in die Kunst- und Kulturszene hineingeschwappt. Dort hatte sich Philip Morris bis vor kurzem durch vielfältige Sponsoraktivitäten liberale Lorbeeren verdienen können.

Allein in New York beteiligen sich über 100 Bars, Restaurants, Theater und Clubs an dem Boykott. Sogar die Eliteuniversität Harvard kündigte inzwischen den Verkauf aller ihrer Philip-Morris-Aktien an. Die New Yorker John-Webber-Gallery zeigt seit April einer überdimensionale „Helmsboro“-Schachtel des deutschstämmigen Künstlers Hans Haacke. Die anderthalb Meter langen Zigaretten tragen die Aufschrift „Philip Morris funds Jesse Helms“. In Deutschland kündigte das Hamburger „Schmidt-Theater“ zum Jahresende seinen Sponsorvertrag; das Kölner „Theater am Tor“ stieg ebenso aus, und in Frankfurt brach die „Filmschau“ laufende Verhandlungen mit dem Münchner Tabakkonzern ab. Damit nicht genug: In Stuttgart startetet die Konkurrenzmarke „Lucky Strike“ vor kurzem eine neue Werbekampagne. Als Blickfang auf den Werbetafeln sind nur schöne Männer und sonst nichts zu sehen. Folge: Immer öfter greift mann in der schwulen Subkultur jetzt zu der „Nachkriegsknülle“, so ein Szenebeobachter. Im Ostteil Berlins organisiert die Schwulengruppe „Sonntagsclub“ den Boykott der ehemaligen DDR- und heutigen Morris-Marken Karo, F6 und Juwel. Außerdem sind auch die Leichtzigarette Philip Morris Light American und Erzeugnise der Morris-Tochter Jacobs-Suchard auf dem Boykottindex: Milka-Schokolade, Toblerone, Kraft-Produkte und Jacobs-Kaffee. Pause für „lila Pause“. In den USA wird seit Juli auch das Miller Beer der 100prozentigen Philip-Morris- Tochter Miller Brewing eiskalt stehengelassen.

Kein Wunder also, daß Philip Morris, Marktführer in Westdeutschland (31,4 Prozent, davon Marlboro allein 23,7) und Ostdeutschland (40 Prozent, davon Karo mehr als 25 Prozent) Kontakt zu den schwulen Boykotteuren sucht. In Deutschland entsandte das Unternehmen zu diesem Zweck Mitte November einen Vermittler zu Treffen mit Act-up-Gruppen in Berlin und Köln. Direkte Gespräche des Konzerns mit den Boykotteuren waren im Juli gescheitert. Der Mittelsmann, selbständiger Marketingexperte aus Frankfurt, habe „abzuklären“ versucht, ob „größere finanzielle Zahlungen an Aids-Selbsthilfeorganisationen die Act-up-Gruppen zu einem Abbruch des Boykotts bewegen könnten“, berichtete die Berliner Act-up-Gruppe nach dem Gespräch. Die Act-up-Gruppen hätten dieses Angebot aber zurückgewiesen und statt dessen gefordert, daß sich die deutsche Philip Morris GmbH öffentlich von den Spendenpraktiken der New Yorker Konzernzentrale distanziere. Der Vermittler habe „dies nicht in Aussicht stellen wollen“, so Act up.

„Die Frage ist doch: Wem will man eigentlich helfen?“ meint dagegen der Frankfurter Philip-Morris- Mittelsmann zur taz. Den Act-up- Mitarbeitern warf er „Stasi-Methoden“ vor und beschimpfte sie als linksradikale Gruppen, mit denen man nicht diskutieren könne. Von dem Geldangebot distanzierte sich der Marketingexperte. Dafür habe er von Philip Morris auch kein Mandat erhalten. Er fühle sich durch die Bekanntmachung der Gespräche von Act up „mißbraucht“.

„Act up lügt“, sagt hingegen Udo Wolff, Pressesprecher der Münchner Philip Morris GmbH. Ein Geldangebot habe es nie gegegen. Außerdem sei Philip Morris ein „liberales Unternehmen“, dessen Spendenvolumen für Aids-Hilfsorganisationen allein in diesem Jahr in den USA eine Million Dollar erreiche. An Jesse Helms persönlich seien dagegen in den letzten dreizehn Jahren insgesamt lediglich 21.000 Dollar gezahlt worden, für ein Helms-Museum habe es zusätzlich noch einmal 200.000 Dollar gegeben. Die Unterstützung für Helms werde der Konzern auch in Zukunft nicht einstellen, selbst wenn Philip Morris die Ansichten des Senators zu Homosexualität, Aids und Kunst „in vielen Punkten“ nicht teile.