Pflege: "Das System ist krank"
Die Heime schließen und das Geld anders verteilen, fordert Heimbetreiber und Autor Helmut Wallrafen-Dreisow.
Herr Wallrafen-Dreisow, können Sie angesichts der erneut konstatierten Missstände empfehlen, Angehörige in einem Heim unterzubringen?
Helmut Wallrafen-Dreisow: Das kann ich wohl. Es gibt genügend gute Heime.
Woran erkennt man die?
Das ist das Problem. Man würde sie erkennen, wenn die von uns geforderte Verpflichtung zur Transparenz auch realisiert würde. Jetzt wurde zwar endlich beschlossen, Transparenz zu schaffen, aber das wird zunächst drei Jahre wissenschaftlich an fünfzig Einrichtungen modellhaft erforscht.
Wie sieht Transparenz aus?
Unser Motto ist: Selbstkontrolle vor Fremdkontrolle. Wir als Träger müssen ein Interesse daran haben, das Vertrauen der Kunden durch Informationen zu gewinnen. Bei uns geht der Heimatverein ein und aus, die Schützenbruderschaft trinkt auf dem Weg zum Schießplatz ein Bierchen bei uns Diese Leute kommen rein, sehen Dinge und schaffen so Öffentlichkeit.
Pfleger verweisen oft darauf, dass sie zu wenig Zeit hätten.
Zeit ist in unseren Einrichtungen kein Problem. Natürlich könnte man mehr leisten, wenn mehr Geld zur Verfügung stünde. Aber man kann schlechte Pflege nicht auf Geldmangel zurückführen. Das ganze System ist krank.
Inwiefern?
Die drei Pflegestufen sind unzureichend, es müsste viel mehr differenziert werden. Und dann leben immer noch zu viele Menschen im Heim, die in anderen Wohnformen problemlos und viel kostengünstiger wohnen könnten. Wir haben nicht zu wenig Geld im System, es ist einfach falsch verteilt.
Wie sollte es verteilt werden?
Wir brauchen viel mehr Mittel für Prävention, für Beratungsstellen und Reha-Einrichtungen, für Fallbetreuer und Sozialarbeiter, die sich zusammen mit den Angehörigen um die Probleme kümmern. Weiterhin brauchen wir ganz andere Formen der Tagespflege. Es gibt nur eine Handvoll von Einrichtungen, die auch am Wochenende geöffnet hat.
Gibt es zu viele Heime?
Natürlich. Das liegt auch daran, dass sich die Angehörigen zu früh überfordert fühlen, weil der Grundsatz der Pflegeversicherung, "Ambulant vor stationär", nicht greift. Wenn es mehr Unterstützung für Angehörige gäbe, dann müssten weniger Menschen in ein Heim, was wiederum Kosten von 3.000 Euro pro Unterbringung sparen würde.
Wie können Angehörige besser unterstützt werden?
Wir machen zum Beispiel zusammen mit der Alzheimer-Gesellschaft zweimal in der Woche einen Kaffeenachmittag. Da bringt man den verwirrten Angehörigen mit, kann sich mit anderen unterhalten und merkt, dass man nicht allein ist.
So banal ist das?
Nein, aber so fängt es an. Über den Kaffeeklatsch erfährt man, wie es andere machen, welche Sozialstation nachts kommt.
Wären zehn Tage bezahlter Urlaub ein Mittel, um Angehörige zu entlasten?
Das ist ein Witz.
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