Peter Unfried: Tor für Deutschland
■ Zum Teufel mit den Eimsbütteler Sturm - und allen "schönen" Fußball-Geschichten
„Berti Vogts war unser Mann gegen Cruyff.“ (Beckenbauer)
Einmal kam Frau K. zum Kolumnisten, um sich zu beschweren. „Ich habe in Ihrer letzten Kolumne kein einziges Wort verstanden“, sagte sie — und das klang weniger böse als enttäuscht. (Um ehrlich zu sein: Sie war die erste in einer mittellangen Schlange.)
Seltsam, dachte der Kolumnist. Ihm war alles klar. Ein Sportjournalist („Erlauben Sie,
Zum Teufel mit den Eimsbütteler Sturm- und allen „schönen“ Fußball-Geschichten
daß ich mir vorstelle“) stellt sich vor, wie ein Sportjournalist („Britt-Pitt“) sich vorstellt, mit einer Frau („Nicole“) auszugehen. Die Vorstellung geht schief, und dabei wird auf eine erfrischend-subtile Art (Gel im Haar etc.) klar, daß der vermeintliche Ich-Erzähler nicht nur ein Vollarschloch ist, sondern viel schlimmer: null Ahnung von Fußball hat. Dagegen ist der wahre Ich-Erzähler, der Kolumnist, ein mächtig toller Typ und blickt auch fachlich („4-3-1-2“) voll durch. Es geht um den Sachverstand, sagte der Kolumnist lächelnd zu Frau K., darum, eine grundlegende Problematik freizulegen, die den Fußball determinierte usw.
Frau K. hörte zu. Dann schüttelte sie den Kopf. „Das ist keine schöne Geschichte“, sagte sie, das sei doch alles viel zu artifiziell. Der Kolumnist habe doch, peterschmeichelte sie, „so eine nette Fantasie“. Sie verlange „schöne und lustige Geschichten vom Fußball“.Was sein Geschwurbel betraf, versprach der Kolumnist, darüber nachzudenken. Grundsätzlich aber, liebe K.: Zum Teufel mit den schönen Geschichten, mit dem ganzen verlogenen oder romantisierenden Zeug, mit dem Fußball oral oder schriftlich erinnert wird.
Schön, wenn jemand die WM-Elf von 1954 aufzählen kann. (Das kann u.a. G. Schröder.) Und jede Vollnase kann mit Jens den Eimsbütteler Sturm aufsagen (aber kaum eine einen Goethe-Vers.) Was hat das mit Fußball zu tun? Der Kolumnist weiß, daß z. B. Schwarzenbeck die Wembley-Elf nicht mehr zusammenbekommt – oder zumindest beim Linksaußen ins Grübeln gerät.
Das Bramarbasieren mit Namen („O Gott, Kwiatkowski!“) und Zahlen („Zwei WM-Spiele – vierzehn Gegentore!“) ist natürlich auch eine Facette des Fußballs. Aber um dem ganzen Spiel heute gerecht werden zu können, muß auch mal Schluß sein mit dem Gesülze, das man vor ein paar Jahren noch für mittelgroßes Fußballfeuilleton hielt, man denke an berüchtigte schöne Geschichten wie jene von der Heimkehr von Hitlers Obergefreitem F. Walter („Auf dem Ball ist er heimgeritten wie Münchhausen auf der Kanonenkugel“). Diese Geschichten wirken heute noch breitflächig in einer schön gelogen übernommenen kollektiven Erinnerung nach (vgl. auch Breslau-Elf, Herberger, Wembley etc.) bzw. eben nicht (z.B. Liebrichs hundsgemeines Foul an Puskas).
Ähnliches gilt auch für die Geschichtsschreibung vom intellektuellen Elfenbeintor aus. Etwa: „Der Sieg der DDR blieb eine rein ästhetische Größe, doch aus dem bundesdeutschen Fußball wurde mit Netzer die letzte Möglichkeit der Subversion getilgt.“ Ganz zu schweigen von den halbintellektuellen Spaßvögeln. Gurgelgurgel!
Definition (bitte mitschreiben und unterstreichen): Wer sich heute mit Fußball beschäftigt, sollte sich gefälligst auch mit Fußball beschäftigen.
Und nun kommt die schlechte Nachricht, Frau K.: Es gibt eine neue Komponente. Das mag jetzt ein bißchen seltsam klingen, aber ihr Name ist Sachkenntnis. Einige Fußballinteressierte wollen sich nicht mehr ihre Welt von Leuten erklären lassen, die gar nicht im Stadion waren oder zwar da waren, aber hinterher nicht mehr wissen, wozu. Es ist ein bißchen lustig/traurig, daß, z.B., bis heute so gut wie kein Buch erschienen ist, das sich auf eine schön erzählende, fachlich ernstzunehmende Art mit dem Gegenstand beschäftigt (es geht nicht um Gero-Bisanz-artige Lehrbücher.) Demnächst könnte es soweit sein. Die Fachjournalisten Uli Fuchs und Christoph Biermann lieben das Spiel. Und deshalb werden sie erzählen von Laufwegen, von Verschiebungen und so weiter. Oh, no, sagt Frau K. erschüttert: „Das soll schön sein?“
O ja, K.: Es könnte eine richtig schöne Geschichte werden.
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