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■ Peter Glotz (SPD) zur künftigen Oppositionsstrategie„Offensiv für die Ampel werben“

taz: Herr Glotz, der angekündigte Aufbruch der SPD-Fraktion nach dem Hessen-Debakel ist ausgeblieben. Kein Profilierungsbedarf für die Opposition?

Peter Glotz: Revolutionen gehen von der Berliner Klausurtagung der Fraktion nicht aus. Ich fand allerdings das Gerede vom mangelnden Profil der SPD als Konsequenz aus einer verlorenen Kommunalwahl von vornherein falsch. Die Hysterie, die nun verbreitet wird, ist nichts anderes als der Versuch, eine politische Meta- Realität zu schaffen. Wir sollten uns lieber mit der Realität selbst beschäftigen.

Was macht die Fraktion in Bonn, wenn sie von der Realität in Kiel eingeholt wird?

Ich habe keinen privaten Bundesnachrichtendienst, ich weiß nicht, ob irgendwelche bösartigen Thesen stimmen – ich persönlich behaupte, sie stimmen nicht – und ich behaupte, die sogenannte Nilius-Jansen-Affäre wird sich in zwei Monaten dadurch erledigt haben, daß niemand mehr weiß, wer Klaus Nilius war.

Die CDU hat mit dem Untersuchungsausschuß gute Chancen, genau das zu verhindern.

Haben Sie mal gezählt, wieviel Untersuchungsausschüsse zur Zeit so hochspannende Fragen erörtern, wie die, auf wessen Kosten Herr Streibl, Herr Späth oder sonstwer hierhin und dorthin gereist ist? Dies alles lenkt davon ab, wieviel Arbeitslose es in Mecklenburg gibt, wieviel jugendliche Gewalt aufbricht und warum Schönhuber zehn Prozent hat.

Die Barschel-Affäre ist mit Streibls Amigos schwer zu vergleichen. Engholms Karriere lebt davon, daß er moralisch das Gegenteil von Barschel verkörpert.

Das tut er ja auch nach wie vor. Ich weigere mich, ohne den kleinsten Beweis, nun triumphierend, wie das ja selbst manche Sozialdemokraten tun, Engholm in den Strudel der Barschel-Affäre hineinzureden.

Engholms Wahlchancen sehen Sie nicht geschmälert?

Bis zu den Wahlen werden noch 15 andere gleichkalibrige Säue durchs Dorf getrieben. Für die Wahl ist es wichtig, daß es der SPD gelingt, ein überzeugendes Regierungsprojekt zu formulieren. Daran wird sich entscheiden, ob sie stärkste Partei wird.

Wird sich die SPD bis dahin als Alternative präsentieren?

Die SPD hat überzeugende Alternativen, ich räume allerdings ein, daß sie sich gelegentlich von den Themen der Bundesregierung einfangen läßt. Beispiel Kampfeinsätze.

Wir können aber die Alternativen der SPD nur ganz schwer erkennen. Beim Aufbau-Ost hätte auch eine SPD-geführte Regierung nicht genug Geld, um die alten Arbeitsplätze zu subventionieren, von ökologischer Modernisierung redet bestenfalls noch Lafontaine.

Lafontaine hat mit dem Einstieg in die ökologische Steuerreform einen sehr konkreten Vorschlag gemacht, der in der Tat an dem Interessenwiderspruch innerhalb der Partei gescheitert ist. Daß die SPD das nicht akzeptiert hat, ist sicher ein Fehler. Es gibt aber durchaus SPD-Entwürfe einer ökologischen Modernisierung, die in der Partei voll getragen werden.

Hier Foto-nr. 25

Peter Glotz Foto: Reuter

Sind die in der Partei auch mehrheitsfähig?

Wenn eine entschlossene Bundesregierung mit einem guten Mann an der Spitze das vorantreibt, gibt es dafür auch Mehrheiten.

Das Ergebnis des „Solidarpakts“ sind Steuererhöhungen und höhere Staatsverschuldung. Wäre es nicht sinnvoller, endlich klarzumachen, daß ein europäischer Ost- West-Ausgleich auf westdeutschem Niveau nicht zu machen ist?

An Blut-, Schweiß- und Tränen- Reden ist kein Mangel. Das Problem ist es, eine entsprechende Politik durchzusetzen. Wenn im Bundestag und Bundesrat unterschiedliche Mehrheiten existieren, kommen immer Kompromisse heraus.

Die Alternativen der SPD lassen sich so kaum verdeutlichen.

Das ist richtig. Deshalb habe ich auf der Klausurtagung mit Nachdruck dafür plädiert – übrigens unter Beifall in der Fraktion –, daß die Führung der SPD sich öffentlich für eine Ampelkoalition 94 aussprechen soll. Nur in einem solchen Unternehmen kann ein Alternativkonzept zur jetzigen Regierungspolitik entwickelt werden. Die Ampel wäre auch die einzige Lösung, um die „Republikaner“ schnell von der Platte zu putzen, weil die CDU in der Opposition ein Stück nach rechts rutschen wird. Das Verschwinden der Reps wäre das beste für die Demokratie.

Sie denken, Engholm wird in einer ökonomisch und finanziell schwierigen Situation den Mut für ein solches Experiment aufbringen?

Das muß man abwarten. Ich habe Verständnis dafür, daß ein Parteivorsitzender vorsichtiger sein muß als ich, aber irgendwann muß er Farbe bekennen.

Die letzten Wahlkämpfe führte die SPD immer mit der Parole „Wir kämpfen für die eigene Mehrheit“.

Nun ja, diese Zeiten sind vorbei. Ich war 1987 bei Johannes Rau schon anderer Meinung, aber jetzt ist es ganz klar: Es gibt keine eigene Mehrheit. Beide großen Parteien werden unter 35 Prozent landen. Mehrheiten wird es nur noch in einer Ampel – oder großen Kolition – geben. Weder SPD plus Grün noch Union und FDP werden nach den nächsten Wahlen eine Mehrheit auf die Beine bringen.

Sie setzen darauf, daß die SPD dann im Gegensatz zur Union zwei potentielle Koalitionspartner hat.

So ist es, die SPD hätte erstmals wieder einen strategischen Vorteil. Sie wäre damit zwar in einer sehr komplizierten, gleichzeitig sehr motivierenden Situation, vergleichbar mit der zwischen 69 und 72. Darin liegt sicher auch ein großes Risiko. Die CDU verfügt über eine starke Medienmacht, und auch Teile der Industrie würden gegen eine solche Koalition Sturm laufen. Wir hätten eine sehr kontroverse Situation. Da muß man schon die Ohren steifhalten.

Deshalb bezweifeln wir ja auch, daß sich die SPD-Führung für die Ampelkoalition entscheiden will.

Es ist Ihre Aufgabe, daran zu zweifeln, und meine, dafür zu sorgen, daß es trotzdem klappt. Es gibt natürlich Leute in der SPD, die sich innerlich bereits auf eine große Koalition einstellen. Die SPD-Führung muß nun eindeutig sagen, was sie will. Das fordere ich von ihr.

Um die Reformperspektive schon mal anzudeuten, hat die SPD jetzt beschlossen, die innere Sicherheit zu einem Schwerpunkt ihrer Bemühungen zu machen.

Unter anderem, denn das Zunehmen der organisierten Kriminalität ist ja besorgniserregend, und es wäre töricht, das Thema der Union zu überlassen. Wir können die Koalition beispielsweise beim Thema Geldwäsche frontal angehen, weil da aus Gründen des Klientelschutzes wirksame Lösungen verhindert werden. Da ist auch viel Musik für uns drin, man darf sich nur nicht mit dem großen Lauschangriff wieder in die Ecke einer Verfassungsänderung drängen lassen. Interview: Matthias Geis,

Jürgen Gottschlich

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