Perspektiven deutscher Außenpolitik: Übernahme mit erhöhtem Risiko
■ Skeptische Ausblicke auf den künftigen Kurs der deutschen Außenpolitik sollten weniger mit Zweifeln an der Person der am Montag bestimmten Nachfolgerin als an der...
Übernahme mit erhöhtem Risiko Skeptische Ausblicke auf den künftigen Kurs der deutschen Außenpolitik sollten weniger mit Zweifeln an der Person der am Montag bestimmten Nachfolgerin als an der Hinterlassenschaft Genschers begründet werden.
Wohl selten mußte ein Nachfolger, zumal mit Stöckelschuhen, in derart große Fußstapfen treten.“ Wie in diesem Leitartikel der 'Badischen Neuesten Nachrichten‘ über „Genschers Ziehtochter“ Irmgard Schwaetzer spiegelte sich gestern in vielen der — fast ausschließlich von Männern verfaßten — Kommentare deutscher Zeitungen wider, wie wenig selbstverständlich es noch immer ist, daß eine Frau ein hohes politisches Amt in dieser Republik übernimmt. „Es wäre unfair, der bisherigen Bundesbauministerin von vornherein die Befähigung für ihr neues Amt abzusprechen“, schreibt 'Die schwäbische Zeitung‘ hintergründig. Dies zeigt auch die Tatsache, daß Schwaetzer nicht automatisch auch Vizekanzlerin werden soll. Seit Gründung der Bundesrepublik fiel dieses Amt immer dem Außenminister zu.
Es sei „die Frage, ob Irmgard Schwaetzer das Zeug hat, die Außenvertretung Deutschlands auszufüllen“, meldete der 'Kölner Stadt-Anzeiger‘ deutliche „Zweifel“ an der gestern auch in ihrer eigenen Partei umstrittenen Außenministerin an. Denn schließlich erfordere die „tragende Rolle“ bei der „dauerhaften“ Einbettung des neueren, größeren Deutschlands in die Staatengemeinschaft „Stärke, Bescheidenheit, Fingerspitzengefühl und Visionen“ sowie „vor allem traumwandlerische Sicherheit, wann Bonn vorangehen muß... und wann es sich im Zweifel zu bescheiden hat“.
Genau um diese Frage geht es. Nur sollten skeptische Ausblicke auf den künftigen Kurs der deutschen Außenpolitik weniger mit „Zweifeln“ an der ersten Frau in der Ministerrolle als an der Hinterlassenschaft ihres Vorgängers begründet werden. Tatsache ist: Schwaetzer — von 1987 bis '91 immerhin bereits Staatsministerin im Auswärtigen Amt — bringt mehr außenpolitische Erfahrung mit als der damalige Innenminister Genscher bei seiner Amtsübernahme im Mai 1974. Er wollte seinerzeit lieber Vorsitzender des Finanzausschusses im Bundestag als Außenminister werden. Tatsache ist weiterhin: Die Übernahme dieses Amtes im Frühjahr 1992 ist mit weit mehr Risiken verbunden als vor 18 Jahren. Damals fand Genscher ein weitgehendst bestelltes Feld vor. Für Schwaetzer ist die Aufgabe heute sehr viel schwieriger. Worüber so viele Lobeshymnen auf den nach Gromyko dienstältesten Außenminister seit 1945 hinwegtäuschen: Die Konzeption der neuen Ost- und Entspannungspolitik nach der von Adenauer betriebenen Westintegration der Bundesrepublik Deutschland war eben nicht Genschers Leistung, sondern wurde von seinem Vorgänger Walter Scheel gemeinsam mit SPD- Kanzler Willy Brandt entwickelt und mit den Abkommen von Moskau und Warschau sowie dem Deutschlandvertrag in ihren ersten wesentlichen Schritten umgesetzt.
Das Verdienst Genschers ist es, die Kontinuität dieser Politik nicht nur bis zum Machtwechsel 1982, sondern auch in der Koalition mit der CDU/CSU und zeitweise auch gegen starke Kräfte in der Union bewahrt zu haben. Doch auf die mit dem Amtsantritt Gorbatschows 1985 beginnende grundlegende Veränderung der seit 1945 gültigen europa- und weltpolitischen Rahmenbedingungen und die sich daraus ergebenden neuen Probleme hat die von Genscher verantwortete deutsche Außenpolitik bis heute keine konzeptionelle Antwort. Das Beispiel Jugoslawien ist nur das derzeit spektakulärste. Bis zum Beginn des innerjugoslawischen Krieges im Sommer letzten Jahres war Südosteuropa für die bundesdeutsche Diplomatie ein weitgehend weißes Feld. Genschers Zickzack-Kurs in den Sommermonaten 1991 folgte vor allem innenpolitischen Opportunitäten. Der Bundesaußenminister verstand es lediglich, die Gunst der historischen Stunde zur Wiederherstellung der deutschen Einheit zu nutzen. Ansonsten blieb es beim entschiedenen Sowohl Als auch, zumeist geschickt verbrämt durch wohlklingende Formeln. Genschers unzweifelhaft großem Einsatz für die KSZE etwa stand das Beharren auf überholten Konstellationen wie der Nato gegenüber.
Ähnliche Widersprüche gibt es in der Nahost-Politik, der Rüstungskontroll- und Exportpolitik. Der Verkauf dieses letztlich inkonsequenten Lavierens als erfolgreiche Politik wurde Genscher durch die große Bonner Oppositionspartei wesentlich erleichtert. Denn auch die SPD als Gesamtpartei verfügt über keine geschlossene außenpolitische Konzeption, die tatsächlich eine neue Antwort auf die Herausforderungen in Europa und weltweit böte. Lediglich einzelne SPD-PolitikerInnen sowie die Grünen haben sich bislang bemüht, die anläßlich der deutschen Vereinigung allseits und gerade auch von Genscher proklamierte „gewachsene Verantwortung“ der Bundesrepublik mit Vorstellungen einer „Außenpolitik der bewußten Selbstbeschränkung“ zu füllen. Diese Konzeption fordert einen grundsätzlichen Verzicht der nationalen Außenpolitik auf militärische Instrumente und die Konzentration aller politischen und (außen-)wirtschaftlichen Bemühungen auf friedliche Konfliktlösung und auf die Herstellung partnerschaftlicher Beziehungen im West-Ost- sowie vor allem im Nord-Süd-Verhältnis. Doch in Bonn sind diese Vorstellungen bislang nicht ernsthaft diskutiert worden.
Unter dem Primat innenpolitischer Kalküle
Sollte Schwaetzer ihren Amtsantritt als Außenministerin dazu nutzen, die bislang unterbliebene grundsätzliche Debatte über eine Neukonzeption der internationalen Politik der Mittelmacht Deutschland zu beginnen, wäre dieses ein großes historisches Verdienst. Doch die Chancen hierfür stehen wegen der Machtinteressen innerhalb der Koalition wie auch innerhalb ihrer eigenen Partei nicht sehr gut. Es ist damit zu rechnen, daß die bundesdeutsche Außenpolitik noch stärker als in den letzten Monaten unter den Primat innenpolitischer Kalküle geraten wird. Das sind anders als Ende der 60er Jahre keine günstigen Voraussetzungen für die Entwicklung neuer Konzepte.
Angesichts dieser Vorzeichen ist daher damit zu rechnen, daß Irmgard Schwaetzer sich um eine Fortsetzung des Genscher-Kurses bemühen wird— unter wahrscheinlich zunächst erschwerten Bedingungen innerhalb der Regierungskoalition in Bonn. Etwa in der Frage von Bundeswehreinsätzen innerhalb oder gar außerhalb des UNO-Rahmens dürften die CSU sowie Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) Hans-Dietrich Genschers Abgang zu nutzen wissen, um ihre Positionen im Kabinett durchzusetzen. Andreas Zumach, Bonn
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