Penaten früher und heute und das erste Date: Schütteln, was man hat
Ausgehen und rumstehen
VON Jenni Zylka
Ich brauche keine Millionen / mir fehlt kein Pfennig zum Glück / ich brauche weiter nichts / als nur Physik, Physik, Physik. Oder heißt es Aspik, Aspik, Aspik? Damn it, dieses Sieb im Kopf. Apropos Aspik: Donnerstagabend hatte ich mir beim Kochen zwei Schürzen übereinander gezogen und war nicht sicher, ob das auf Alzheimer oder Stress zu schieben war. Aber das Wochenende wartete mit fabulösem Ausgleich auf.
Freitagabend drängelte ich mich wacker auf die Record Release Party von Half Girl, den nettesten Riot Wommmmen Berlins, in den glücklicherweise immer noch existenten „Ausland“-Klub, und klatschte von hinten mit; bei den Songs über Lemmy, der tief in seinem whiskeyüberschwemmten Herzen Feminist war, über Mojos, die kommen und gehen, und über die Liebe zu den eigenen Bandkolleginnen. Die Platte, die klingt, als ob die Pixies und die Cramps ein „love child“ gezeugt und es mit solider Genderkompetenz ausgestattet hätten, ging hernach weg wie warme Semmeln, während wir zu „Musiques“ 1978 entstandener Discohymne „Keep on jumpin’“ schüttelten, was wir hatten. In der Ecke wagte sogar jemand ein paar Backspins, ich war schwer beeindruckt, auch wegen meines chronischen Bandscheibenvorfalls. Ich hatte ja neulich extra ein paar Tutorials zu diesem grandiosen Northern Soul-Basis-Move geguckt, aber wenn diese Menschen auch alle kein Rückgrat haben?! Zumindest auf der Tanzfläche?!
Dabei hätte ich das gerade an diesem Wochenende so gern gekonnt – Samstagabend bat nämlich der Hip City Soul Club in den „Privat Club“, und da darf man ja sogar auf Talkumpuder schlittern. Dem Geruch nach zu urteilen war es zwar eher Penaten, aber im Endeffekt macht das keinen großen Unterschied: Das eine erinnert einen an die alten Zeiten im Wigan Casino, als man noch jung war, und das andere an die alten Zeiten im Wickelraum, als die Kinder noch jung waren. Die Backspins der anderen, besseren TänzerInnen funktionierten jedenfalls gut darauf, musste ich wieder neidvoll anerkennen. Was soll’s. Ich kann bestimmt auch irgendetwas, was nicht jeder kann, zum Beispiel Biersorten von A–Z.
Sonntag dann der Salonabend im „La chambre de Berlin“, wer die Reste seines kümmerlichen Schulfranzösisch aus dem Sieb da oben zu klopfen vermag: Dem „Berliner Zimmer“ einer Wohnung, in der regelmäßig reizende, halb private Klassikkonzerte stattfinden. Der Titel lautete „Korean and French Impressions“, also gab die Musikerin Yewon Hong impressionistische Pentatonik-Perlen auf einem Gayageum zum Besten, ein urkoreanisches Instrument, das entwickelt wurde, um dem chinesischen Kulturimperialismus entgegenzuwirken. Dazu klang das Ding, das einer großen gebogenen Zither ähnelt, absolut überzeugend. Der mit mindestens 17 besonders beweglichen Fingern ausgestattete US-amerikanische Pianist Jason Dickinson bespielte danach den Flügel mit ein paar wunderschönen Debussy-Stücken, in denen sich der Franzose ebenfalls mit Asien auseinandergesetzt hatte, und ich saß begeistert in der Ecke, schaute in den Stuck und sinnierte, wer von den Gästen wohl gerade sein „erstes Date“ durchführte.
Denn dafür wäre so ein Musikabend mit Wein in der Küche eigentlich genau das Richtige: Man sieht sich bei Licht, und checkt nebenbei, ob der andere länger als fünf Minuten still sitzen kann. Später kommt man sich in einem lauten Klub körperlich näher, allein weil man dem anderen beim Reden so nah ins Ohr schreien muss. Und das hat ja sein Gutes.
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